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Stellungnahmen zum Transplantationsgesetz bzw. zu den Entwürfen zum Transplantationsgesetz


Stellungnahme von Roberto Rotondo für BioSkop e.V.

Deutscher Bundestag. Ausschuß für Gesundheit. Ausschußdrucksache 588/13. Bonn, 11. September 1996

Stellungnahme zu den Entwürfen eines Gesetzes über die Spende, Entnahme und Übertragung von Organen (Transplantationsgesetz, TPG) und zu ergänzenden Anträgen Bundesdrucksachen 13/2926, 13/4114, 13/4368

Inhaltsverzeichnis

  1. Der sogenannte „Hirntod„ als "der Tod des Menschen"
  2. Verfahren zur "Hirntodbestimmung"
  3. Die Gleichsetzung des Abstellens der Beatmung mit einer Organentnahme
  4. Ablauf einer Organentnahme und Versorgung der Leiche
  5. Spezielle Belastungen des Pflegepersonals und Schutz der Pflegekräfte und der Mitarbeiter in der Transplantationsmedizin
  6. Schutz von Pflegekräften
  7. Informations- und Betreuungspflicht

Der sogenannte „Hirntod" als „der Tod des Menschen".

Im Antrag der Abgeordneten Dreßler u.a. (Drucksache 13/4368) wird davon ausgegangen, daß mit dem Eintritt des sogenannten „Hirntodes" der Tod des Menschen eingetreten ist, weil die Mehrheit der deutschen und internationalen Ärzteschaft in der öffentlichen Anhörung vor dem Gesundheitsausschuß und dem Rechtsausschuß des Deutschen Bundestages am 28. Juni 1995 diese „Auffassung" vertrat. Daß diese Schlußfolgerung aufgrund einer Mehrheitsmeinung aus der Anhörung gezogen wurde, ist erstaunlich, da meiner Ansicht nach wissenschaftliche Erkenntnis nicht abstimmungsfähig ist. Dabei wird unterschlagen, daß fachkundige Mediziner u.a. Prof. Geisler1 und Dr. Zieger2 dargestellt haben, daß der gesamte Ausfall der Hirnfunktionen nicht feststellbar ist. Mehrfach wurde außerdem auf die Veröffentlichung des Neurologen Dr. Klein hingewiesen, in der wissenschaftliche Arbeiten zitiert werden, die belegen, daß nach Feststellung des sogenannten „Hirntodes" die betroffenen Patienten (nicht Leichen!) noch EEG-Aktivität zeigten. Auch Hormonproduktion der Hypophyse konnte nach Feststellung des sogenannten „Hirntodes" nachgewiesen werden.3 Ich bestreite nicht, daß diese Erkenntnisse in der Anhörung vom 28. Juni 1995 in der Minderheit waren, da schon die Organisation und der Ablauf der Anhörung keine anderen Mehrheitsverhältnisse zuließen. Aber auch wenn dies außer acht gelassen wird, ist es in der Wissenschaft bisher immer so gewesen, daß neue wissenschaftliche Erkenntnisse zunächst immer in der Minderheit waren und nicht durch politische Abstimmungen auf den Weg gebracht wurden. Aus den neuen medizinischen Erkenntnissen läßt sich nur der Schluß ziehen, daß der „Hirntod" nicht dem Tod des Menschen entspricht.

Verfahren zur „Hirntodbestimmung"

Daraus ergibt sich m. E., daß der Gesetzgeber die Bedingungen zur „Hirntodfeststellung" nicht der Bundesärztekammer überlassen kann. Die Anträge der Abgeordneten Dreßler u.a. (Drucksache 13/4368) sowie der Abgeordneten Dr. Wodarg u.a. (Drucksache 13/4114) haben dies nicht berücksichtigt. Es ist die Rede vom „jeweiligen Stand der medizinischen Wissenschaft" (Drucksache 13/4368, S. 7), der wiederum nicht eindeutig definiert wird. Gemeint ist gewiß der Stand der deutschen medizinischen Wissenschaft, denn schon die schweizer Richtlinien sind enger gefaßt als die Richtlinien der Bundesärztekammer. Auch die Bezugnahme auf Richtlinien der USA (Drucksache 13/4368, S. 5) kann nur Zweifel an einer eindeutigen Festlegung von Todeskriterien aufkommen lassen, da in den USA der Stand der medizinischen Wissenschaft schon zuläßt, bei kurzzeitigem Herz- und Kreislaufstillstand, lebenswichtige Organe zu entnehmen.4 Dort muß also der Eintritt des „Hirntodes" nicht zwingend abgewartet werden.

Die Gleichsetzung des Abstellens der Beatmung mit einer Organentnahme

Die Abgeordneten Dr. Wodarg u.a. (Drucksache 13/4114) sowie Knoche u.a. (Bundesdrucksache 13/2926) setzen in ihren Anträgen die Diagnose „Hirntod" nicht mit dem „Tod des Menschen" gleich. In der Begründung des Antrages der Abgeordneten Dr. Wodarg u.a. (Drucksache 13/4114) wird der „hirntot" diagnostizierte Mensch als Sterbender bezeichnet, der nur selbst in die Organentnahme einwilligen könne. Als Begründung hierfür wird der Eingriff in die Menschenwürde des Sterbenden angeführt. Um so erstaunlicher ist es, daß die Abgeordneten Dr. Wodarg u.a. eine Organentnahme mit dem Abstellen der Beatmung gleichsetzen (Drucksache 13/4114, S. 4) und somit zur Verharmlosung der Organentnahme in der Öffentlichkeit beitragen. Möglicherweise hängt dies damit zusammen, daß die Abgeordneten noch keine Gelegenheit bekamen, einer Organentnahme beizuwohnen. Der Abgeordnete Dr. Wodarg machte diesbezüglich eine Aussage im Bundestag, die bestätigt, daß er zwar gewillt sei, sich eine Organentnahme anzusehen, aber „ein renommierter Transplantationschirurg aus Schleswig-Holstein" ihm dies Anliegen nicht ermöglichte, da er es Dr. Wodarg, einem in der Intensivmedizin erfahrenen Arzt, „nicht zumuten" könne.5 Diese Aussage verdeutlicht nochmals, daß die Organentnahme nicht mit dem Abstellen der Beatmungsmaschine gleichzusetzen ist. Um zu verdeutlichen, welchen Eingriff eine Organentnahme darstellt, möchte ich anhand von Aussagen einiger Pflegekräfte den Ablauf einer Organentnahme und die von ihnen dabei empfundenen Gefühle darstellen. Die Pflegekräfte standen mir für Interviews zur Verfügung, welche ich im Rahmen meiner Diplomarbeit6 führte. Sie waren nicht gegen, sondern im Gegenteil für Organentnahmen und können alle langjährige (bis zu 20 Jahre) Erfahrungen in diesem Arbeitsbereich vorweisen.

Ablauf einer Organentnahme und Versorgung der Leiche:

1. Pflegekraft:

„Jetzt stellen diese Organentnahmen in dem Sinne etwas besonderes dar, weil ja erstmal unheimlich viel Wasser verwand wird, zum Spülen des Bauchraums. Das sind schon so 10 - 15 Liter. Und ..., daß eine vergleichsweise stärkere Hektik auch herrscht, weil das soll dann auch schnell gehen. Ne, wegen der begrenzten kalten Ischämiezeit von [Organ X] und [Organ Y]. Sagt man schnell, schnell, schnell und reinschütten, reinschütten. Äh, dann ..., so daß also da mehr ... Wasser angeboten wird, sag ich mal, als die Sauger wegschaffen können. [...] Es gibt ja die Möglichkeit, einfach so, so`n Mittelbauchschnitt zu machen. Dann kann man die beiden Seiten hochhalten, das Wasser reinschütten und absaugen. Vergleichsweise großes Gefäß, sag ich mal."

Eine andere Schnittführung hat allerdings auch andere Folgen:
„Denn läuft das an den Seiten raus, richtig im Schwall. [...] Und denn läuft es eben bis in die Einleitung und es sind große Flächen auf dem Boden, wo wirklich, ja, literweise rotes Wasser auf dem Fußboden ist, mit nassen Tüchern und so und alle patschen da drin rum und Schlachtfeld...anblick. Und man selber hat da nachts um zwei Uhr die Freude, das einigermaßen da zur Seite zu bringen, daß man überhaupt mit dem Tisch rauskommt und, na gut, dem Reinigungspersonal möchte man das ja auch nicht so hinterlassen, sondern packt die Tücher schon mal in Säcke und aus den Säcken läuft das dann raus und so, das ist schon äh ..., ja, wenig ästhetisch."

Auch eine andere Schilderung macht deutlich, was während der Organentnahme geschieht:
„Das war, glaub' ich in dem, ähm, Vortrag im [Krankenhaus X] war das das erste Mal, wo ich das gehört hatte, daß jemand gesagt hatte, daß es eben diesen Prozeß des Sterbens gibt und ..., ja, Hirntod, damit beginnt es praktisch und wir beenden das andere dann kontrolliert."
„Letztendlich ist es ja ... nur, äh ..., ein kontrolliertes Zu-Ende-Sterben. Also, wenn man jetzt die Definition verfolgt, der Hirntod ist ein Teil des Sterbens, das körperliche ist denn das andere und wir machen eben kontrolliertes Zu-Ende-Sterben."

So richtig deutlich wird erst während der Organentnahme, daß hier ein Sterbender sein Leben beendet. Hierzu zwei Pflegekräfte:

2. Pflegekraft:

„Also, daß das da jetzt, daß du jetzt hier plötzlich aus, aus 'nem Spendepatienten 'ne Leiche also ... jetzt irgendwie wirklich 'nen Toter wird, ehm. Das wird eigentlich dann erst offensichtlich, wenn, wenn's ruhiger wird irgendwie, wenn die Hektik jetzt vorbei ist und die Organe weg sind, die Anästhesie tritt ab. ... Und so ganz offensichtlich ist es dann erst dann, wenn man die Abdeckung dann wegnimmt und dann wirklich nunmehr 'ne Leiche auf 'n Tisch ..."

3. Pflegekraft:

„Gerade auch von der, von Seiten der Anästhesie, daß die eben einfach die Geräte abstellt, und die sind dann weg, und alles liegt so da wie wenn, ja, Sie kennen ja dieses Märchen von Dornröschen, die sich sticht, und alles bleibt stehen, und so sieht das dahinter aus. Weil der Apparat an sich, der ist nur abgestellt, aber Tubus ist noch drin, es ist alles noch so, wie es ... für eine normale Narkose, wie es sich für 'ne normale Narkose gehört, und dann ist das Tuch da, das ist so wie eine, eine Raumtrennung."
„Nä, so wie, ja sie, sie, sie, das ist ein Theaterstück mit fatalem Ausgang, dies, was Sie aber nicht erwartet haben. Das ist wirklich - zack!"
„Immer Schweigen ... Also vorher konnte noch so eine tolle Stimmung gewesen sein, äh, Stimmung jetzt eben, daß man sich auch, es wird weiter geflirtet, es wird weiter, es ist so richtig, wie es halt im Leben, im Beruf ist, an einem Arbeitsplatz und ist - Schweigen."
„Das ist einfach so, daß, äh, ... schon so die, dies, dieser Anblick ... glaub' ich schon von sich aus einfach, das auch einfordert, ohne daß man es selber merkt, ist diese, diese, die Körperhaltung, die Physiognomie eines Toten einfach so, daß, ich glaub' der letzte Haudegen verstummt."

Was mit dem Anblick gemeint sein kann, verdeutlichen diese Aussagen:

2. Pflegekraft:

„Ja, und die Leiche wird dann eben grob gereinigt. Das Ganze sieht ziemlich, ehm, 'ne ziemliche Pritschelei immer, weil da mit viel Flüssigkeit gespült wird."
„Es ist, ziemlich verschmiert und glitschig."
„Ehm, ... er hat, ... blaß die Haut ... es ist recht, meist irgendwie recht feucht die Haut, sehr kalt."
„Er hat also die OP-Wunden (...)"
„Ehm, dann ... ja, kommt auch noch `nen Verband drauf, der festgeklebt wird."
„Die Hornhäute sind halt entnommen, also des Auge ist entnommen. Irgend'nen Glasauge ist meist drin, alles verschwollen."
„Ja, meist gehen die Augen dann nicht so richtig zu."
„Klebt man dann meist irgendwie mit ... Kompressen zu. Wobei das Kleben dann auch schwierig ist an solchen Patienten."
„Pflaster hält sowieso nicht, irgendwie drauf der nassen Haut. Das bastelt man da halt rum, um das irgendwie halbwegs, ja an ... ansehbar oder für sich vertretbar ... hinzukriegen, den Leichnam (...)"
„Ja, gibt irgendwie noch 'ne Kinnbinde drum. Ja, der wird dann eingewickelt. Mm, das Laken abgeklebt mit Pflastern, daß nicht alles auseinander fällt."

Diese Aussagen veranschaulichen sehr eindrücklich, daß eine Organentnahme etwas sehr Belastendes darstellt und nicht mit anderen OP's vergleichbar ist. Dies wurde sogar von Prof. Broelsch aus dem Transplantationszentrum Hamburg eingeräumt, als er ein „Eingeständnis" machte, welches „im Einvernehmen mit der Deutschen Stiftung Organtransplantation" in der Zeitschrift „Die Schwester/Der Pfleger" abgedruckt wurde:
„Ein weiteres Eingeständnis ist die oft unbeabsichtigte, aber doch vorkommende Nachlässigkeit im Umgang mit dem Verstorbenen und explantierten Körper des Spenders."7

Der Unterschied zum Abstellen der Beatmungsmaschine wird nachvollziehbar. Um dies nochmals hervorzuheben, möchte ich auf das Abstellen der Beatmungsmaschine und die daraus resultierenden Folgen näher eingehen.

Der technische Akt eine Beatmungsmaschine abzuschalten, besteht in der Trennung des Patienten vom Tubus und dem Drücken oder Drehen eines Knopfes. Nach meiner Erfahrung (7 Jahre Intensivpflege) können allerdings bis zum Eintritt des Todes (sichere Todeszeichen) mehrere Stunden vergehen, auch bei „hirntoten" Patienten. Sie liegen zum Teil reglos da, können aber auch qualvoll ersticken8.

Im Gegensatz zur Organtransplantation muß der Patient in dieser Zeit keinen Eingriff, keine Untersuchung und keine Forschung über sich ergehen lassen, es geschieht dem Patienten nichts. Es geschieht das, was Hans Jonas in seinem Buch „Technik, Medizin und Ethik" wie folgt beschreibt:
„... wir überlassen es der Natur, [die Grenzlinie zwischen Leben und Tod] ... zu überschreiten, wo immer sie sei, oder das Ganze Spektrum zu durchqueren, wenn es mehr als eine Linie gibt."9

In dieser Zeit ist eine Sterbebegleitung durch die Angehörigen und durch das Pflegepersonal möglich. Der sterbende Patient ist nicht allein und auch ein würdiges Sterben ist gewährleistet.

Die Begleitung des Sterbenden während der Organentnahme durch Angehörige ist den Angehörigen nicht zuzumuten (siehe oben) und auch eine vergleichbare Sterbebegleitung, wie es Pflegestandards vorsehen, ist nicht möglich. Ein Abschiednehmen, wie im Gesetzentwurf der Abgeordneten Knoche u.a. (Drucksache 13/2926, S. 4) vorgesehen (§ 10, Abs. 2) ist wünschenswert, aber vorher sollten die Angehörigen über den Zustand der Leiche nach der Explantation aufgeklärt werden.

Ob die Abgeordneten aller Fraktionen den Zustand des Leichnams (siehe oben) nach erfolgter Organentnahme einen „würdigen Zustand" nennen - wie gefordert -, wird nicht näher erläutert. Auch der Transplantationskodex gibt hier keine Hinweise. Besonders nach einer Multiorganentnahme, wenn beispielsweise auch Knochen, Haut und Augen usw. entnommen werden, wird meiner Ansicht nach die Würde des Leichnams nicht gewahrt.

Mit der Abstimmung über den „Tod des Menschen", wird dann auch über den „würdigen Zustand des Leichnams" abgestimmt und ich hoffe in beiden Fällen, daß die Abgeordneten sich nicht dem Votum der Transplantationsmedizin unterwerfen.

Was aus pflegerischer Sicht Sterbebegleitung bei einem Patienten bedeuten kann, bei dem die Beatmung abgestellt wird, macht folgendes Beispiel deutlich:

„Jedes Wort, jeder Blick, jede Berührung wird für den Sterbenden wichtig. Selber hoffnungsvoll sein ist Grundvorraussetzung für die Pflege. [...] Dasein und Dableiben und damit auch Körperkontakt, Berühren, Streicheln ist das wichtigste überhaupt. [...] Sterben ist ein Geheimnis „undurchschaubarer Offenheit", d.h., der Sterbende schreitet vom Ahnen zum Wissen, ohne daß die Tiefen enthüllt werden können. Es genügt, daß da Menschen sind, die das Geheimnis schützen und bewahren."10

Ich denke nicht, daß der von Pflegekräften beschrieben Akt der Organentnahme diesem Pflegeanspruch gerecht wird und dem Organspender dieser Schutz somit verwehrt wird. Schon allein daraus ergibt sich, daß nur eine enge Zustimmungslösung in Frage kommt.

Spezielle Belastungen des Pflegepersonals und Schutz der Pflegekräfte und der Mitarbeiter in der Transplantationsmedizin

Die Pflege wird leider in den Anträgen der Abgeordneten Dreßler u.a. (Drucksache 13/4368) und der Abgeordneten Dr. Wodarg u.a. (Drucksache 13/4114) nicht berücksichtigt, obwohl die Stellungnahmen des Deutschen Berufsverbandes für Pflegeberufe (DBfK), der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Schwesternverbände e.V. (ADS) und des Gen-Archives Essen bei der öffentlichen Anhörung vor dem Gesundheitsausschuß und dem Rechtsausschuß des Deutschen Bundestages am 28. Juni 1995 gezeigt haben, daß das Pflegepersonal - eine der größten, wenn nicht gar die größte Berufsgruppe, die an Organentnahmen bzw. -implantationen beteiligt ist - durch die Mitarbeit in der Transplantationsmedizin in schwerste Konflikte geraten kann und immens psychisch belastet wird.

Der Anspruch der Krankenpflege auf „ganzheitliche" Betrachtung des Menschen erfordert es, daß der für „hirntot" erklärte Mensch als lebendiger Mensch und nicht als Leiche anzusehen ist und einer Sterbebegleitung bedarf. Für die sogenannte „Spenderkonditionierung" auf der Intensivstation trifft zu, daß „sich pflegerische Schwerpunkte grundlegend (ändern):

weg von der ganzheitlichen Pflege des Patienten hin zu einer reinen Überwachung der Vitalfunktionen ..."11 Für die Organentnahmen trifft dies ebenfalls zu, da der Eingriff in den Körper eines Organspenders von der ganzheitlichen Pflege wegführt. Dies zeigt deutlich, daß die Mitarbeit in der Transplantationsmedizin tief in den Berufsethos der Krankenpflege eingreift.

Aus diesem Grund kann ich nur fordern, daß in besonderer Weise die Belange des Pflegepersonals berücksichtigt werden und ein Gesetzentwurf dieser Belastung Rechnung trägt. Allein der Entwurf der Abgeordneten Knoche u.a. (Drucksache 13/2926, S. 4) schreibt im § 12 eine Freiwilligkeit der Mitwirkung an der Organtransplantation vor. Allerdings muß dies auch vorsehen, daß Verträge aus denen ein Zwang zur Mitarbeit hervorgeht, rechtswidrig sind. Außerdem muß den Transplantationszentren vorgeschrieben werden, daß sie dem Pflegepersonal einen Zugang zu Supervisionen oder ähnlichem zwingend ermöglichen und finanzieren.

Schutz von Pflegekräften

Die Belastung des Pflegepersonals wird mittlerweile sogar von Organisationen wie der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) anerkannt. Allerdings werden die Pflegekräfte von der DSO gleichzeitig als Nicht-Experten dargestellt und somit diffamiert.12

Diese Feststellung der DSO sowie die Nichtbeachtung von Pflegekräften in den beiden oben erwähnten Gesetzentwürfen ist nicht verwunderlich, wenn man weiß, wie in der Debatte um die Transplantationsgesetzgebung mit Pflegekräften umgegangen wird, die eine kritische Haltung einnehmen. Hierzu ein Beispiel (weitere Beispiele sind mir bekannt, können hier aber nicht dargestellt werden):

Im Landesseminar für Krankenpflege (LSK) in Kiel fand vom 22. - 24. September 1995 eine Tagung zum Thema „Hirntod - Transplantation. Aspekte, Fragen und Probleme aus pflegerischer Sicht" statt. Als Veranstalter der Tagung war nicht nur das LSK verantwortlich, sondern auch sechs DRK-Schwesternschaften aus dem norddeutschen Raum. Die Inhalte der Vorträge stimmten weitgehend mit der Stellungnahme des DBfK, der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Schwesternverbände e.V. (ADS) und des Gen-Archives Essen vor dem Gesundheitsausschuß am 28.06.95 überein.

Die Durchführung der Veranstaltung wurde dann jedoch erschwert, indem auf verschiedene Weise versucht wurde, die Tagung zu beeinflussen. Beim zuständigen Bildungsministerium wurde interveniert, um die Anerkennung nach dem Bildungsfreistellungsgesetz für die o.g. Veranstaltung zu verhindern. Eine Beschwerde, von der die Organisatoren der Tagung erfuhren, ging vom Transplantationszentrum Kiel aus.13

Diese Einflußnahmen führten dazu, daß die Leiterin der Tagung (Referentin im Gesundheitsministerium) sich genötigt fühlte zu reagieren. Der Austausch von Pflegekräften und anderen am Thema interessierten Menschen sowie die Berichterstattung in der Öffentlichkeit und in Fachzeitschriften wurden massiv beeinträchtigt. Auch der Teilnehmerkreis wurde eingeschränkt und beispielsweise eine politisch (SPD) engagierte Frau aus Kiel, die das Thema auch in ihrer Partei thematisieren wollte, wieder ausgeladen. Die Anwesenheit von Presse- und Medienvertretern wurde ebenfalls ausdrücklich für unerwünscht erklärt, was Pflegezeitschriften mit einschloß. Nach der Tagung wurde den Organisatoren von der Leiterin der Tagung „jedwede Erwähnung des Landesseminars als Veranstaltungsort in einer nicht (ihr) und der Pressestelle des Ministeriums für Arbeit, Soziales, Jugend und Gesundheit abgestimmten Veröffentlichung" untersagt, da „eine öffentliche Dienstelle in ihrer Öffentlichkeitsarbeit nicht frei ist."14

Daß Pflegekräfte und Mediziner in einem Transplantationsgesetz besonders geschützt werden müssen, machen nicht nur Versuche der Einflußnahme wie oben erwähnt deutlich, sondern auch eine Stellungnahme des wissenschaftlichen Beirats der Bundesärztekammer, in der festgestellt wird, daß es „medizinische Kenner und Anwender der Richtlinien einerseits" gibt und andererseits die „nicht-medizinischen Beobachter(n) und Kritiker(n)".15

Damit sind alle Nicht-Mediziner, Angehörigen, Pflegekräfte usw. und auch alle kritisch denkenden Mediziner als Nicht-Kenner eingestuft und ausgegrenzt.

Ziel dieser sehr ausführlichen Schilderungen, die ich fortführen könnte, ist es deutlich zu machen, daß zwei Gesetzesanträge (Drucksache 13/4368 und 13/4114) solche Vorgänge nicht berücksichtigen, wenn sie den Schutz der Pflegekräfte und Mediziner nicht in ihre Gesetzentwürfe aufnehmen.

Informations- und Betreuungspflicht

Eine ausgewogene Information über den Hirntod muß Voraussetzung für die Mitarbeit in der Transplantationsmedizin sein und in einem Gesetz festgeschrieben werden. Weiterhin muß eine Betreuung der Mitarbeiter, wie schon erwähnt, selbstverständlich sein, darf nicht interessengeleitet sein und sollte auch in einem Gesetzentwurf festgeschrieben werden. Nach der öffentlichen Anhörung vom 28. Juni 1995 vor dem Gesundheitsausschuß des Deutschen Bundestages könnte man der Ansicht sein, daß dies schon heute der Fall ist, wenn man den Ausführungen von Prof. Angstwurm folgt, der das European Donor Hospital Education Programm (EDHEP) erwähnte.16 Was er allerdings nicht erwähnte, ist, daß das Schulungsprogramm sich an Ärzte und Pflegekräfte richtet, um diesen Zielgruppen durch Training und Rollenspiel u.a. die Bitte um Organspende beizubringen.17

Man sollte jedoch bedenken, daß Pflegekräfte schon bei der „Spenderkonditionierung" an einen potentiellen Empfänger denken sollen und den Patienten dann nicht mehr um seinetwillen pflegen würden. Im OP werden die Organentnahmen nicht zum Wohl des Spenders vorgenommen, sondern für einen potentiellen Empfänger. Eine allzu zielstrebige Schulung für den Umgang mit Angehörigen im Hinblick auf eine Einwilligung zur Organspende hätte möglicherweise zur Folge, daß auch die Begleitung in der Trauer nicht mehr nur zum Wohl der Angehörigen geleistet wird, sondern ebenfalls zum Wohle eines potentiellen Empfängers.

Eine enge Zustimmungslösung ist auch aus diesem Grund zwingend erforderlich, um dererlei interessengeleitete Fortbildungen überflüssig zu machen.

Der Umgang mit den Angehörigen belastet Pflegekräfte sehr stark, da diese in der Regel den Tod eines Verwandten nicht akzeptieren können, der für sie lebendig erscheint. Da auch die Pflegekräfte häufig nicht nachvollziehen können, daß ein „Hirntoter" tot sein soll,18 sind sie auch nicht in der Lage, den Angehörigen den Leichenstatus des „Hirntoten" nahezubringen.19

Die Angehörigen können einen nahen Verwandten nicht als Objekt betrachten. Ein Abschied ist unter diesen Umständen für niemanden möglich, der Tod nicht faßbar. Die Angehörigen und auch die Pflegekräfte sind mit dieser Situation völlig überfordert. Auch aus diesem Grund bin ich der Meinung, daß Angehörige und Pflegekräfte in die Einwilligung zur Organspende nicht involviert sein dürften.

Nur eine enge Zustimmungslösung nimmt Angehörigen und Pflegekräfte diese zusätzliche Belastung.

Im Hinblick auf die Informationspflicht der Bevölkerung muß der Gesetzgeber dafür Sorge tragen, daß die Veröffentlichungen des Arbeitskreis Organspende und der DSO/KfH nicht die alleinige Grundlage der öffentlichen Aufklärung werden.

Schon heute werden Informationsbroschüren durch die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung im Auftrag des Bundesministers für Gesundheit gefördert, obwohl darin die kontroversen Debatten über den sogenannten „Hirntod" keine Rolle spielen bzw. nicht einmal erwähnt werden,20 somit die Bevölkerung einseitig informiert wird und Probleme, die dann durch Unwissenheit über den „Hirntod" oder die Organentnahme entstehen, vorprogrammiert werden. Es steht diesen privat organisierten Organisationen natürlich frei, ihre inhaltlich einseitigen Informationen weiter zu verbreiten, es ist jedoch unverständlich, warum dies mit Unterstützung durch die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung geschieht.

Eine unabhängige und nach allen Seiten offene Information der Bürger ist eine Grundvoraussetzung für eine wirkliche freie Entscheidung für oder gegen eine Organspende.

Hamburg, den 7. September 1996

Anlage: Präambel von BioSkop

1. Prof.Geisler, L. Ausschußdrucksache 13/114 vom 17. Juni 1995, S. 039.
2. Ebd. S. 072.
3. Dr. Klein, M. Hirntod: Vollständiger und irreversibler Verlust aller Hirnfunktionen? Ethik in der Medizin, Springer-Verlag 1995, 7:6-15.
4. Kennedy Institute of Ethics Journal. Pittsburgh Protokoll. Volume 3, Nr. 2, June 1993, S. 167 ff.
5. Deutscher Bundestag. 13. Wahlperiode, 99. Sitzung. Bonn, 19. April 1996. Plenarprotokoll 13/99, S. 8823.
6. Rotondo, R. Belastung und Bewältigung von Pflegekräften in der Transplantationsmedizin. Diplomarbeit im Studiengang Psychologie des Fachbereichs Psychologie der Universität Hamburg. Klassifikation: 428 Kri­sen, Konflikte, Reaktionen und 890 Spezielle Probleme der angewandten Psychologie. Hamburg, den 28.Juni 1996.
7. Prof. Broelsch, Ch. Erwiderung und Eingeständnis. In: Die Schwester/Der Pfleger. 34. Jg. 7/95, S. 661.
8.Vgl.Artikel „Hirntot?“ In: Die Woche vom 30. Juni 1995, S. 25.
9. Prof. Jonas, H. Technik, Medizin und Ethik. Insel Verlag 1990, S. 221.
10.Schwester Juchli, L. Krankenpflege. Thieme 1991, S. 548.
11.Windels-Buhr, D. Organspende und Krankenpflege. Ein Widerspruch? In: Greinert, R. & Wuttke, G. (Hrsg.) Organspende. Kritische Ansichten zur Transplantationsmedizin. Lamuv 1. Aufl. 1991, S. 79.
12.Deutsche Stiftung Organtransplantation. Der Hirntod als der Tod des Menschen. 1. A. 30. 12/95, S. 55.
13. Hierüber liegt eine schriftliche Mitteilung von Frau Rehwinkel (Leitung der Tagung) vor, die bei mir auf Anfrage zu erhalten ist.
14. Die schriftliche Mitteilung von Frau Rehwinkel (Leitung der Tagung), ist bei mir auf Anfrage zu erhalten ist.
15. Deutsches Ärzteblatt 90, Heft 44, 5. November 1993 (39) C-1975.
16. Prof. Angstwurm. Protokoll der öffentlichen Anhörung vom 28. Juni 1995, S. 65.
17. Grote, T. & Dreikorn, K. Bewährte und neue Wege in der Öffentlichkeitsarbeit zur Verbesse­rung der Or­ganspendesituation in Deutschland. In: Die Schwester/Der Pfleger. 33. Jg. Oktober 1994, S. 823 ff.
18. Vgl.Stellungnahme des Gen-Archives Essen vor dem Ge­sundheitsausschuß am 28.06.95.
19. Striebel, H. & Link, J. (Hrsg.). Ich pflege Tote. Recom 1991.
20. Beispielsweise sei hier nur die Broschüre „Organspende bewahrt Leben“ des Arbeitskreis Organspende, 12. Aufl. 500.7/93 und der Sonderdruck „Ethik und Organtransplantation“, 3. Aufl. 20. 3/94 erwähnt.



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update: 10.01.2004    by: Roberto Rotondo