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»Hirntod« bzw. »Hirntodkonzept«


Hirntoddefinition der Harvard Medical School von 1968

„A definition of irreversible coma. Report of the Ad Hoc Committee of the Harvard Medical School to Examine the Definition of Brain Death“

Einen Meilenstein in der Geschichte der Transplantationsmedizin stellte im Jahr 1968 der „Report of the Ad Hoc Committee of the Harvard Medical School to Examine the Definition of Brain Death“1 dar, in dem die Anerkennung des irreversiblen Komas als neue Definition des Todes befürwortet wird. Die bis dahin auch in der Medizin geltende Vorstellung, dass ein Mensch erst dann als tot galt, wenn sein Herz und die Atmung irreversibel zum Stillstand gekommen sind, wurde damit aufgehoben. Die Anwendung moderner Medizintechnik (künstliche Beatmung seit ca. 19522 und die externe Herzmassage) hatte zur Folge, dass Patienten einen Herz- oder Atemstillstand überleben konnten. 1959 beschrieben zwei französische Ärzte (Molaret und Goulon) erstmals den Zustand des irreversiblen Komas, bei dem das Gehirn durch Sauerstoffmangel irreversibel zerstört worden war und bezeichneten diesen Zustand als „Coma dépassé“.3

Das Ad Hoc Committee der Harvard Medical School nannte zwei Gründe, die ei­ne neue Definition des Todes notwendig erscheinen ließen.

„(1) Improvements in resuscitative and supportive measures have led to increased ef­forts to save those who are desperately injured. Somtimes these efforts have only pa­tial succes so that the result is an individual whose heart continues to beat but whose brain is irreversibly damaged. The burden is great on patients who suffer permanent loss of intellect, on their families, on the hospitals, and on those in need of hospital beds already occupied by these comatose patient. (2) Obsolete criteria for the defini­tion of death can lead to controversy in obtaining organs for transplantation.“4

Das Anliegen des Komitees der Harvard Medical School war, "Patienten, Angehörige und medizinische Ressourcen von den Lasten eines indefinit hinausgezo­genen Komas zu befreien und Kontroversen über die Erlangung von Organen für Transplante zu vermeiden. ... die Ent­bürdung des Patienten ist au­tomatisch auch die der Familie, Ärzte, Krankenpfleger, Geräte, Hospi­talbetten“ usw.

Diese Begründungen wurden jedoch schon einen Monat später von Hans Jonas kritisiert, da seiner Ansicht nach „mit diesem Primärgrund - der Sinnlosigkeit bloß ve­getativer Fortexistenz - der Bericht strenggenommen nicht den Tod, den ultimativen Zu­stand selbst, definiert (hat), sondern ein Kriterium dafür, ihn ungehindert stattfinden zu lassen, z. B. durch Abstellen des Atemgeräts. Der Bericht aber beansprucht, mit diesem Kri­terium den Tod selbst definiert zu haben, und erklärt ihn kraft dessen Zeugnisses als schon gegeben, nicht erst als ungehindert zuzulassen.“5

Dennoch hat sich die Definition des „Hirntodes“ nahezu weltweit durchgesetzt, obwohl in einigen Ländern (z. B. Japan oder China) religiöse oder soziokulturelle Traditionen bei der Akzeptanz bzw. Nichtakzeptanz des „Hirntodkriteriums“ heu­te noch eine Rolle spielen, da z. B. „nach buddhistischer Tradition (...) dem Geist eines Verstorbenen (...) Gefühle wie bei einem Lebenden beigemessen“ werden oder nach chinesischer Tradition der „Körper unversehrt zu begraben (ist), damit der Geist seine Ruhe findet.“6


Literatur

1 A definition of irreversible coma. Report of the Ad Hoc Committee of the Harvard Medical School to Examine the Definition of Brain Death. Journal of the American Medical Association (JAMA) Aug. 1968, Bd. 205, Nr. 6, S. 337-340

2 Neffe, J. Die Geister, die wir riefen. In: GEO WISSEN. Ärzte, Technik, Patienten. Nov. 1991, Nr. 4, S. 40

3 Hoff, J. & in der Schmitten, J. Wann ist der Mensch tot? Rowohlt 1994, S. 155

4 A definition of irreversible coma. Report of the Ad Hoc Committee of the Harvard Medical School to Examine the Definition of Brain Death. Journal of the American Medical Association (JAMA)Aug. 1968, Bd. 205, Nr. 6, S. 337

5 Jonas, Hans. Technik, Medizin und Ethik: Zur Praxis des Prinzips Verantwortung (1985). 3. Aufl. 1990, Frankfurt am Main: Insel Verlag, S.224

6 Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO). Der Hirntod als Tod des Menschen. DSO (Hrsg.) 1995, S. 49



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update: 10.01.2004    by: Roberto Rotondo