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Organempfänger


Von Margarete Whittome (Remseck)

Lebertransplantation: Schwerwiegende Komplikationen

Erfahrungen vor und nach einer Lebertransplantation

März 2002


Leslie Robert Whittome war 66 Jahre alt, als ihm im August 1995 die Leber eines »Hirntoten« übertragen wurde. Zwanzig Jahre zuvor war eine seltene chronische Lebererkrankung diagnostiziert worden, dennoch war sein gesundheitlicher Zustand gut. Im Dezember 1995 verstarb Herr Whittome an den Folgen der Transplantation. Seine Ehefrau Margarete sucht seither Recht. Den Medizinern wirft sie eine fragwürdige Indikation vor, außerdem kritisiert sie mangelnde ärztliche Aufklärung. Ihre Klage gegen ein süddeutsches Universitätsklinikum wurde im Januar vom zuständigen Landgericht abgewiesen, jetzt hat sie Berufung beim Oberlandesgericht eingelegt. BIOSKOP hat Frau Whittome gebeten, über ihre Erfahrungen zu berichten.

Anfang 1995 gab es in der Uniklinik ein erstes Gespräch mit meinem Mann. Die weitere Aufklärung fand dann nur noch durch einen Arzt im Praktikum während der Vorbereitung zur Transplantation statt. Damals fühlte sich mein Mann ganz normal leistungsfähig. Doch als erstmals eine geringfügige Blutung aus der Speiseröhre auftrat, war das für uns ein erschreckendes Ereignis. Weder sein behandelnder Professor, der daraufhin die Transplantation empfahl, noch irgendein anderer Arzt in der Transplantationsklinik haben darauf aufmerksam gemacht, dass Leberpatienten damit viele Jahre sehr gut leben können, wenn sie qualifiziert medizinisch versorgt werden.

Tatsächlich trat bis zur Transplantation, die sieben Monate später vorgenommen wurde, keine einzige Blutung mehr auf. Die Aussage des Klinikarztes beim ersten Gespräch, dass die Leber in der Dekompensation begriffen und keinerlei Regeneration möglich sei und dass so nur die »harte Alternative, entweder zu verbluten oder zu verblöden« bleibe, überzeugte uns davon, keine Alternativen zu haben. Die angesprochenen Risiken beschränkten sich überwiegend auf Abstoßungsreaktionen, die aber ihren Schrecken verloren hätten. Nach diesem Gespräch glaubte mein Mann, eine Transplantation sei für ihn das einzig Richtige. Der Klinikarzt ließ sich den Terminkalender zur Eintragung der baldigen Voruntersuchungen bringen. Mein Mann war nun ein überzeugter Wartepatient und ganz fixiert auf die große Operation, die ihm bevorstand. Die Krankenkasse sagte die Kostenübernahme ohne Rückfrage zu.

Mein Mann war Mitglied der Selbsthilfegruppe für Lebertransplantierte und Wartepatienten, er beteiligte sich aktiv an deren Werbung um Spenderorgane. Laut dem regionalen Ansprechpartner, der gute Verbindungen zu den Transplantationschirurgen pflegte, wurde die Selbsthilfegruppe ermutigt, bei Leberpatienten das Vertrauen in die Transplantationsmedizin zu stärken. Die Bitte, zwei Artikel für die Selbsthilfe-Zeitschrift Lebenslinien zu schreiben, erfüllte mein Mann. Dabei drückte er sein Vertrauen und seinen Optimismus als Wartepatient aus. Auch die Werbung der Deutschen Stiftung Organtransplantation förderte sein Vertrauen. Da fiel nie ein Wort über den Leidensweg von Empfängern oder spätere Schuldgefühle oder andere negative Folgen. Anfang 1996 bat ich darum, dass die Leser der Lebenslinien vom Tod meines Mannes unterrichtet werden. Dies wurde jedoch abgelehnt.

Als mein Mann nach der Transplantation von schwerwiegenden Komplikationen betroffen war, musste ich mich - unvorbereitet wie ich war - damit abfinden. Schmerzhaft wurde uns zu spät bewusst, was uns gerade nicht klar gewesen war. Er glaubte damals an die angebliche, unaufhaltsame Dekompensation seiner Leber, hielt die Operationsrisiken für annehmbar, hatte eine optimale Nachsorge erwartet und sah seine Lebenserwartung ohne Transplantation als unberechenbar und niedrig an. Wer käme denn bei diesem Mangel an Spenderorganen auf die Warteliste, wenn es eine Alternative gäbe, meinte er und hielt es für überflüssig, eine weitere ärztliche Beurteilung einzuholen.

Die Nachsorge nach der Transplantation entsprach nicht der Sorgfalt, von der in der Selbsthilfegruppe gesprochen wurde; daher wurde mein Mann wegen Komplikationen in ein anderes Krankenhaus verlegt. Zu spät erfuhren wir dort vom weiterbehandelnden Professor, dass die erfolgte Lebertransplantation nicht erforderlich gewesen wäre. Auch der Medizinische Dienst der Krankenkasse stellte fest, dass lediglich eine »elektive Indikation« vorgelegen habe, also die Organübertragung nicht unabdingbar gewesen war. Es war für mich unfassbar, dass uns das verschwiegen worden war. Zu spät erfuhren wir, dass selbst nach gelungener Transplantation die ursprüngliche Erkrankung wieder auftreten könnte, mit der mein Mann seit vielen Jahren sehr gut leben konnte, und dass bei etwa jedem zehnten Fall eine viel dramatischere Leberschädigung entsteht, nämlich das so genannte vanishing bile duct syndrome, das durch Abstoßung des Transplantats verursacht wird. Verschwiegen wurde ebenfalls, dass in der Klinik die Gefahr der Legionelleninfektion aus der Warmwasserleitung bestand (also z. B. durch Zähneputzen!) und wie schwerwiegend die Infektanfälligkeit infolge der Immunsuppression ist, die man nach Übertragung der fremden Leber dauerhaft benötigt. Das Risiko, an Krebs zu erkranken, wurde ebensowenig erwähnt wie das hohe Risiko, sich mit dem Zytomegalie-Virus (CMV) anzustecken. Die Infektion trat tatsächlich ein, weshalb mein Mann dann Medikamente gegen CMV bekam, die sich ungünstig auf die Leber auswirken.

Der Richter der ersten Instanz und der von ihm als Gutachter bestellte Transplantationschirurg verlegten sich - wohl um die Verantwortung beim Patienten zu belassen - allein aufs Schriftliche. Mein Mann hatte einen Organspendeausweis. Daraus folgerte der Richter, dass er alle Folgen der Transplantation, auch den Tod, in seine Überlegungen einbezogen habe. Der Gutachter verweist in seinem, dem Uniklinikum gegenüber sehr wohlwollenden Gutachten auf den unterschriebenen Aufklärungsbogen, der aber nicht alle unmittelbaren Komplikationen aufführt, geschweige denn langfristige Risiken.

Als mein Mann am Nachmittag des zweiten Weihnachtsfeiertages 1995 die Augen für immer schloss, war mir klar, dass er - mit großem Vertrauen in Ärzte und unter dem Slogan der Transplantationsmedizin »Leben retten« - dem größten Betrug seines Lebens zum Opfer gefallen war.


»Zweites Leben«

»Für manche Menschen gilt nicht nur der im Pass vermerkte Geburtstag. Sie feiern jedes Jahr an einem weiteren Datum ihren >zweiten< Geburtstag. Es ist der Tag, an dem sie mit einem neuen Herz, einer neuen Leber oder einer neuen Lunge ein >zweites< Leben beginnen konnten.«

Darstellung der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA), nachzulesen auf Seite 5 ihrer Broschüre »Wie ein zweites Leben«, die den Anspruch erhebt, die Bevölkerung über Transplantationen und »Organspende« zu informieren.


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update: 10.01.2004    by: Roberto Rotondo