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(Dezember 2002 in München)
Körperteile gegen Geld?
Transplantationschirurgen wollen Bereitschaft zur »Organspende« durch finanziellen Anreize steigern
Aus Zeitschrift BioSkop, Nr. 20, Dezember 2002,
Seiten 3 + 4
Von Erika Feyerabend (Essen), Journalistin, und Roberto Rotondo (Hamburg), Krankenpfleger und Diplompsychologe, BioSkoplerInnen
Geld verdienen mit der Hergabe von Körperteilen? Das Thema war bisher in Deutschland tabu. Trotzdem haben Transplantationschirurgen und Juristen jahrelang hinter verschlossenen Türen diskutiert, wie finanzielle Anreize die Bereitschaft zum Organe »spenden« gezielt steigern könnten. Jetzt fühlen sie sich stark genug, ihre Ideen öffentlich zu propagieren.
Fünf Jahre gilt das Transplantationsgesetz (TPG) nun, aber sein politisches Ziel hat es bislang verfehlt: Denn die Zahl der Organübertragungen stagniert hierzulande bei unter 4.000 im Jahr. Diverse Kliniken melden »hirntot« diagnostizierte Menschen einfach nicht. Über 30 Prozent der Angehörigen verweigern die »Organspende«. Und: Nur wenige Menschen versterben unter Erfüllung der »Hirntod«-Kriterien.
So werben immer mehr Transplanteure für eine Alternative: Sie appellieren an gesunde Menschen, Körperteile für schwer Kranke herzugeben und nennen dies »Lebendspende«. In den USA und einigen nordeuropäischen Staaten soll bereits fast jedes zweite verpflanzte Körperteil von einem gesunden »Spender« stammen. In Deutschland liegt ihr Anteil bei rund 17 Prozent, Tendenz: steigend.
Das TPG erlaubt »Lebendspenden«, sofern zwischen OrgangeberIn und -nehmerIn eine enge persönliche Bindung existiert und weder Pressionen noch Geschäfte im Hintergrund stehen. (Mehr Informationen zum TPG und den Ausführungsgesetzen zum TPG). Dass alles mit rechten Dingen zugeht, sollen Gutachter-Kommissionen gewährleisten; in der Praxis agieren sie oft ziemlich halbherzig.
Bedingungen wie diese können zum offenen Operationsgebiet für Chirurgen und auch für OrganhändlerInnen werden. Inzwischen mobilisieren ganze Fraktionen innerhalb der Transplantationgesellschaften ihre Kräfte, um sagbar zu machen, was bisher verpönt war: »Körper gegen Geld«.
Im Juni lud Professor Christoph Broelsch, berühmt für Leber-Transplantationen, zu einem internationalen Symposium in die Ruhrmetropole Essen (siehe auch: Uniprotokolle Essen). Als »Höhepunkt« angekündigt war Professor Gary S. Becker. Der neoliberale Weltwirtschaftsexperte aus Chicago propagierte in Essen unverblümt die bezahlte Weitergabe von Nieren und Leberstücken. Wachsende Wartelisten und Schwarzmärkte für Organe, so Becker, zeigten ihm, dem Ökonomen, »dass die Preise nicht funktionieren«. Eine »maßvolle Bezahlung« könne »die Schere zwischen Angebot und Nachfrage bei Organen vollkommen schließen«. Preisvorstellungen hatte Becker parat: 10.000 Dollar für eine Niere, das Doppelte für ein Stück Leber - zu zahlen von Versicherungen oder vom Staat.
Ein weiterer Baustein, um mit öffentlichem Sprechen Politik zu betreiben, wird vom 10. -14. Dezember in München gesetzt. Dort steigt der Kongress »Ethics in Organ Transplantation«, veranstaltet von der Deutschen Akademie für Transplantationsmedizin. Referieren werden EthikerInnen, Transplantationschirurgen und Stammzellforscher. Das einleitende Symposium widmet sich vor allem den Grenzen der Lebendorgantransplantation. Erklärtes Ziel: Juristische Barrieren sollen niedergerissen werden. Die Methode der Wahl: Offene Fragen stellen - zum Beispiel zu den rechtlichen Grenzen und zum Für und Wider finanzieller Anreize für die »Lebendspende«. So soll es ganz »normal« werden, über die Abgabe von Organen gegen Geld, Steuervorteile, Versicherungen oder Begräbniskostenerstattung zu diskutieren.
Zu den Vortragenden zählt der Münchner Jurist Thomas Gutmann. Er hat gemeinsam mit dem Strafrechtler Ulrich Schroth ein Buch geschrieben, das ihn in Fachkreisen bekannt gemacht hat, Titel: »Organlebendspende in Europa«, erschienen in der renommierten »Schriftenreihe Medizinrecht«. Dieses Werk lässt an politischer Eindeutigkeit nichts zu wünschen übrig. Geht es nach den Autoren, sollen die Verhältnisse bald so sein: Jede/r soll jede/m spenden dürfen! Die enge persönliche Verbundenheit zwischen SpenderIn und EmpfängerIn, die das Gesetz bisher noch verlangt, soll möglichst gestrichen oder zumindest großzügig ausgelegt werden. Wie man TPG-Paragraphen großzügig interpretiert, hatte Bundesärztekammer-Berater Hans-Ludwig Schreiber bereits im Oktober 1999 vorgeführt: »Eine persönliche Verbundenheit«, spekulierte der Göttinger Strafrechtsprofessor allen Ernstes in einer TV-Talkshow, könne »durch das Spendebedürfnis selbst entstehen«.
Wo Märkte entstehen, gibt es Knappheiten. Diesem Problem wird sich der bekannte britische Bioethiker John Harris auf der Münchner Tagung widmen: »Wer soll gerettet werden? Wer zuerst?« Harris, ein ausgewiesener Utilitarist, hat vor Jahren das Modell einer »Überlebenslotterie« entworfen. Sie solle dann staatlich angeordnet werden, wenn der »soziale Druck«, Körperteile im Falle des »Hirntodes« herzugeben, sich als nicht ausreichend erweisen sollte. »Jeder Mensch«, visionierte Harris, »erhält eine Art Los-Nummer, die in einen Zentralrechner eingegeben wird. (...) Der Computer sucht die Nummer eines Spenders nach dem Zufalls-Prinzip, und die selektierte Person wird getötet, damit mindestens zwei andere Menschen gerettet werden können.«
Ein abstraktes Gedankenexperiment, das sicherlich nicht für die praktische Umsetzung gedacht ist. Doch die Logik einer kollektiven und zu steigernden Lebenszeit wird durch solche Rhetorik dringlich gemacht. Das gilt auch für Argumentationsstrategien wie die folgende. Wenn immer mehr Gesunde eine Niere oder einen Leberlappen im Freundes- und Familienkreis abgeben sollen, werde der Appell an »Nächstenliebe« nicht mehr ausreichen, meint Transplanteur Broelsch, der ebenfalls in München sprechen wird. Broelsch vermutet hinter dem chronischen Organmangel »die allzu menschliche Erfahrung, dass es ohne Anreize, ohne Motivation weder eine guteTat noch eine böse gibt«. Der politisch denkende Chirurg regt an: Steuerfreibeträge für ausgefüllte Spenderausweise, einen Spenderbonus bei der Krankenversicherung, eine zusätzliche Lebensversicherung, spendiert von der Versicherung des Empfängers oder einen Spendenfreibetrag nach Muster der gemeinnützigen Spende.
Philosophisch und medizinisch ausgebildete Promotoren des regulierten Organhandels sind in München ebenfalls geladen. So die britische Philosophin Janet Radcliffe-Richards, die in Transplanteurskreisen stets willkommen ist. Organhandel allein als Ausbeutung der Armen zu interpretieren, hält sie für zu kurz gegriffen, sie fragt: »Und wenn Du so arm bist, dass Du Dein Auge verkaufen willst, tun wir Dir dann einen Gefallen, wenn dies verweigert wird und Du statt dessen an Hunger stirbst?« Unterbezahlung und Ausbeutung lasse sich durch Regulierungen verhindern, durch ein zentrales Verkaufssystem für Körperteile, mit Gesundheitschecks, angemessener Entlohnung, Versicherung und Finanzberatung. Über das Recht, Nieren zu veräußern oder zu kaufen, wird auch der israelische Nierenspezialist Michael Friedlaender sprechen. Israel gilt als eine zentrale Drehscheibe des internationalen Organmarktes. Warum nicht regulieren, was bislang dem Schwarzmarkt überlassen ist? Der Kauf sauberer, ausgewählter Nieren in einem offenen Markt sei unproblematisch, findet Friedlaender.
Öffentlich inszenierte Debatten wie diese sind derzeit international. Ähnliche Sagbarkeiten entstehen gerade in Israel, Großbritannien oder den USA. Dort gibt es schon Pilotprojekte mit finanziellen Entschädigungen für »LebendspenderInnen« und ihre Familien.
Der globalisierte Organmarkt ist Realität. Er macht besonders die Menschen in Osteuropa und in Staaten des Südens zur Überlebensressource - für diejenigen, die es sich leisten können. Dass der bezahlte Transfer von Körperteilen auch in Transplantationszentren der westlichen Welt - unerlaubterweise - stattfindet, sickert immer mal wieder durch. Dieser Praxis zu gesellschaftlicher Normalität zu verhelfen, ist offenbar das Ziel der Münchner Veranstalter. Die ebenfalls offen verhandelten »Leistungsanreize«, sei es für Organabgabe zu Lebzeiten oder im Falle des »Hirntodes«, ergänzen das Projekt des ökonomisch taxierten Körpers. Die Deutsche Akademie für Transplantationsmedizin fragt: »Erstattung des Verdienstausfalls, Gewährung eines Versicherungspaketes oder Schmerzensgeldes, Erlass von Steuern oder übernommene Begräbniskosten« - ist das unethisch'?«
Antworten sollen denkbar und diskutierbar sein, finanzielle Anreize zur ganz normalen Verhandlungssache erklärt werden. In Zeiten des niedergehenden Wohlfahrtsstaates könnten Versicherungspakete oder Rentenversorgungen manchem ebenso attraktiv erscheinen wie der direkte Tausch von Körperstücken gegen Geld.
Nähere Informationen zu einelnen TeilnehmerInnen des Kongresses erhalten Sie , wenn Sie hier klicken oder bei Roberto Rotondo.
Weitergehende Informationen zum Organhandel und zur Lebendorganspende:
Verantwortlich für die Zusammenstellung der Informationen: Roberto Rotondo.