Transplanteure des Züricher Universitätsklinikums empfehlen, eine weitere menschliche Ressource zu nutzen, um den chronischen »Organmangel« einzudämmen: die so genannten »Non-Heart-Beating-Donors« (NHBD), zu Deutsch: »Organspender ohne schlagende Herzen«. Medizintechnische Vorbehalte gebe es nicht. Eine Studie belege, dass Nieren »Herztoter « genauso lange in fremden Körpern funktionierten wie jene von »Hirntoten«.
»Unsere Daten«, frohlocken Transplanteure und Nephrologen des Züricher Universitätsklinikums »unterstützen das Konzept, dass Nieren herztoter Spender routinemäßig in Transplantationsprogramme eingeschlossen werden können.« Diese Einschätzung begründen sie mit einer Langzeitstudie: Ein Team um den Chirurgen Prof. Pierre-Alain Clavien hatte Daten aller 122 Nierenentnahmen von »Herztoten« und der anschließenden Transplantationen ausgewertet, die zwischen 1985 und 2000 in Zürich stattgefunden hatten. Die Ergebnisse verglichen sie mit der »Erfolgsrate« bei Implantationen von Nieren, die von »Hirntoten« stammten. Drei Viertel der Organe, bilanzieren die Forscher, funktionierten auch nach zehn Jahren noch. Voraussetzung für die »erfolgreiche« Körperteilentnahme bei NHBD sei allerdings, dass zwischen dem Herzstillstand und dem Eingriff nicht mehr als 60 Minuten vergingen. Ihre Studienergebnisse machten die Forscher im Juli 2002 selbst publik, durch einen Aufsatz im US-Fachblatt New England Journal of Medicine (NEJM 347, 2002, S. 248-255).
Die in Fachkreisen noch herrschende Meinung, dass Organe »Herztoter« zu sehr vorgeschädigt und daher für Transplantationen ungeeignet seien, sehen die Züricher Forscher durch ihre Studie widerlegt. Würde man künftig auch Körperteile von Menschen mit Herzstillstand nutzen, könnten die Nieren-Wartelisten deutlich verkürzt und die Zahl der Transplantationen um 30 Prozent gesteigert werden, prophezeien sie. Das Todeskonzept, das derartige Eingriffe überhaupt erst legitimieren soll, hinterfragen die Autoren der Studie nicht. Zehn Jahre lang hatten sie Nieren von Menschen entnommen, deren Herz erst fünf Minuten still gestanden hatte. Seit 1995 gedulden sie sich zehn Minuten und folgen damit den Vorgaben des »Maastricht-Protokolls«. Dieses Papier, benannt nach dem Uniklinikum der niederländischen Stadt, wo seit den achtziger Jahre »Spenderprogramme mit Herztoten« laufen (Siehe BioSkop Nr. 14), unterscheidet zwischen »kontrollierter« und »unkontrollierter Organspende«, unterteilt in vier Kategorien. Eine »unkontrollierte« Organspende erfolgt, wenn der Patient bei Ankunft in der Klinik einen Herzstillstand hat (Kategorie I) oder bei erfolgloser Wiederbelebung (Kategorie II). Als »kontrollierte Organspende« gilt, wenn der Herzstillstand vom Chirurgen »erwartet« wird (Kategorie III) oder wenn der »Herzstillstand während des Hirntodes« erfolgt (Kategorie IV). In allen Fällen wird eine »Wiederbelebung« unterlassen oder - bei Kategorie II - abgebrochen. Eine Besonderheit stellen Kranke dar, die Kategorie III angehören. Bei ihnen wird die Therapie (z. B. Beatmung oder Kreislaufunterstützung durch Medikamente) von vorneherein gezielt abgebrochen, so dass der Herzstillstand mit Sicherheit eintritt. Die Züricher Mediziner entschieden, bei 56 Patienten »Wiederbelebungsversuche« nach 30 Minuten abzubrechen. In 57 Fällen haben sie den Herzstillstand »erwartet«. 9-mal wurden Menschen der Kategorie IV zugeordnet, obwohl der »Hirntod« noch nicht eingetreten war. Unter welchen Krankheiten die »herztoten« Organspender litten, dazu schweigen die Forscher im NEJM. Nebulös bleibt auch die Einwilligungspraxis: Bis 1995, das geben die Transplanteure zu, wurden in Zürich »einige« Nieren von Kranken entnommen, deren Zustimmung zur Entnahme nach »Herztod« einfach vorausgesetzt wurde. Erst danach habe man die Zustimmung der Angehörigen routinemäßig eingeholt. Zahlen nennen die Forscher jedoch nicht. Über ähnlichen Prozeduren zur Organgewinnung in den USA berichtete 1993 die US-Fachzeitschrift JAMA. Betroffen waren Patienten, die auf lebenserhaltende Maßnahmen (Beatmungsgerät, Herzpumpen) angewiesen sind, etwa Menschen mit schweren neurologischen Einschränkungen wie Querschnittslähmung, mit erheblichen Hirnschäden (Hirninfarkt, Wachkoma) oder im Endstadium einer Herzerkrankung. Auch schwer Kranke, deren Tod zwar nicht unmittelbar bevor steht, die ihre »Lebensqualität« aber nicht mehr akzeptabel finden, kommen in den USA als NHBD in Betracht. Voraussetzung der planmäßigen »Organspende« ist, dass der Betroffene oder seine Angehörigen dem Verzicht auf lebenserhaltende Maßnahmen ausdrücklich zustimmen. Ist dies der Fall, kann der Herzstillstand provoziert werden. In den USA sollen bereits zwei Prozent der transplantierten Körperteile von »Herztoten« stammen. Was in den USA und in Zürich als machbar und legitim gilt, ist in Deutschland bisher nicht erlaubt. Das Transplantationsgesetz (TPG) verlangt, dass vor einer Explantation »der Tod des Organspenders nach Regeln, die dem Stand der medizinischen Wissenschaft entsprechen, festgestellt ist«. Mit dem TPG hat der Gesetzgeber die Bundesärztekammer (BÄK) dauerhaft ermächtigt, den jeweiligen Kenntnisstand und damit auch die Regeln und Verfahren zur Feststellung des Todes zu bestimmen. Derzeit gilt laut TPG und BÄK als tot, wessen Hirnfunktionen vollständig zum Erliegen gekommen sind. Eine Organnahme ohne vorherige »Hirntod«-Diagnose ist gemäß TPG nur dann zulässig, »wenn der endgültige, nicht behebbare Stillstand von Herz und Kreislauf eingetreten ist und seitdem mehr als drei Stunden vergangen sind«. In der Praxis hat dies zur Folge, dass »Herztote« für die »Spende« innerer Organe nicht genutzt werden können, da es technisch bisher nicht möglich ist, Nieren, Herz, Leber oder Lunge über drei Stunden transplantabel zu halten. Der »Stand der Wissenschaft« könnte angesichts stagnierender »Spender«-Zahlen jedoch auch in Deutschland in Frage gestellt werden, wenn weitere Ergebnisse nach Züricher Machart bekannt werden sollten. Zu der neuen NHBD-Studie hat die BÄK bisher geschwiegen. Zuletzt hatte sich die BÄK 1998 zu NHBD-Programmen öffentlich geäußert und erklärt, ein Herz- und Kreislaufstillstand von zehn Minuten bei normaler Körpertemperatur könne keineswegs als sicheres »Äquivalent zum Hirntod« gewertet werden. Die Repäsentanten der deutschen Ärzteschaft reagierten damals auf eine Veröffentlichung der Organverteilungszentrale Eurotransplant, welche die Nierenentnahme bei »Herztoten« befürwortet hatte. So sollte es in Deutschland eigentlich nicht möglich sein, dass Steuergelder für NHBD Forschung ausgegeben werden. Doch auch an staatlichen Universitäten wird hierzulande erkundet, wie man Körperteile »Herztoter« für Transplantationen nutzen kann, zum Beispiel in Berlin, Bonn, Freiburg, Hannover und Köln. Versuchsobjekte sind in der Regel Schweine (Siehe Randbemerkung rechts) und Ratten; so weit bekannt, nehmen Menschen an solchen Experimenten hierzulande nicht teil. Zumindest das Transplantationszentrum der Universität Bonn behauptet aber öffentlich von sich, schon mal Organe von NHBD verpflanzt zu haben:© ROBERTO ROTONDO, 2002
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Resümee aus der Doktorarbeit der Veterinärmedizinerin Claudia Bettina Funcke. Ihre Dissertation hatte sie im Jahr 2001 an der Tierärztlichen Hochschule Hannover (THH) mit Erfolg eingereicht, Titel: »Restitution warmischämisch vorgeschädigter Schweineherzen nach verschiedenen Konservierungsverfahren und orthoper Transplantation«. Für die wissenschaftliche Betreuung der Doktorarbeit sorgten Prof. Jürgen H. Fischer, Leiter des Instituts für experimentelle Medizin der Universität Köln und Prof. Gerhard Breves vom Physiologischen Institut der THH.
aus einem Bericht von Annette Tuffs über die 10. Jahrestagung der Deutschen Transplantationsgesellschaft (DTG), den die Berliner Zeitung am 28.11.2001 unter der Überschrift »Immer noch viel zu wenig Spenderorgan« publizierte. Die nächste DTG-Jahrestagung findet vom 24.-26.10.2002 in Hannover statt, dabei soll es auch darum gehen, wie mehr Organe beschafft werden können. Als Schwerpunktthemen angekündigt sind die so genannte »Lebendspende« und »Transplantationen als Therapie genetischer Erkrankungen«.