Erfahrungsberichte zur Organentnahme
Erfahrungsberichte von Pflegekräften.
Nach der Organentnahme
Pflegekraft A:
Pflegekraft A: Wie das aussieht? Ja, also erst
mal so Standard-OP, passiert es schon mal, daß immer
Blutkleckse auf dem Boden sind. Vielmehr sollte normalerweise nicht
passieren. Denn gibt es erweiterte Standard-OP`s, sag ich mal.
(lacht)
Äh, wo auch in irgendeiner Form
gespült wird. Sag ich mal, Peritonitis oder man hat bei `ner
Darmsache irgendwas nicht gemacht und spült etwas mehr. Das ist
dann je nach Temperament des Operateurs, daß etwas daneben geht
und auf den Boden läuft. Dann werden Tücher ausgelegt in
der Regel, daß man irgendwelche grünen Tücher nimmt,
wo denn der Operateur drauf steht, daß er nicht immer in dem
Wasser-Blut-Gemisch patscht. So ne. Und ... also so von daher
ist es nichts ungewöhnliches, daß da Lachen mit blutigem
Wasser auf dem Fußboden sind. Passiert von Zeit zu Zeit. Jetzt
stellen diese Organentnahmen in dem Sinne etwas besonderes dar,
weil ja erstmal unheimlich viel Wasser verwand wird, zum Spülen
des Bauchraums. Das sind schon so 10 - 15 Liter. Und .... das eine
vergleichsweise stärkere Hektik auch herrscht, weil das soll
dann auch schnell gehen. Ne, wegen der begrenzten kalten Ischämiezeit
von Herz und Leber. Sagt man schnell, schnell, schnell und
reinschütten, reinschütten. Äh, dann ... so daß
also da mehr .. Wasser angeboten wird, sag ich mal, als die
Sauger wegschaffen können. Das.. ist also das Risiko
alleine schon größer und es liegt natürlich auch an
der Schnittführung. Es gibt ja die Möglichkeit, einfach so,
so`n Mittelbauchschnitt zu machen. Dann kann man die beiden Seiten
hochhalten, das Wasser reinschütten und absaugen.
Vergleichsweise großes Gefäß, sag ich mal. Oder es
gibt so diese typischen Leberschnitte, daß man den
Mittelschnitt nach seitlich erweitert. ...
Denn (hat) natürlich der Sauger keine Chance mehr. Denn läuft das an den Seiten raus, richtig im
Schwall...
Und denn läuft es eben bis in
die Einleitung und es sind große Flächen auf dem
Boden, wo wirklich ja literweise rotes Wasser auf dem Fußboden
ist, mit nassen Tüchern und so und alle patschen da drin rum und
Schlachtfeld..anblick. Und man selber hat da nachts um zwei Uhr die
Freude, das einigermaßen da zur Seite zu bringen, daß man
überhaupt mit dem Tisch rauskommt und na gut, dem
Reinigungspersonal möchte man das ja auch nicht so
hinterlassen, sondern packt die Tücher schon mal in Säcke
und aus den Säcken läuft das dann raus und. So, das
ist schon äh ... ja, wenig ästhetisch. Aber es liegt
einfach an der Unbedachtheit des jeweiligen Operateurs, daß der
einfach so einen Schnitt legt, den die eben Standard bei Leber OP`s
machen. Das ist der Standardschitt dafür, daß man eben `n
großen Lappen hat, den man eben hochklappen kann. Nur da fällt
bei `ner klassischen OP nie so viel Wasser an, daß so
rauslaufen kann. Also die klassischen Leber OP`s sind auch schon
vergleichsweise blutig, auch auf dem Fußboden, aber eben
nicht so flüssig. Und von daher Schlachtfeld und von daher äh..
... Ist kein anständiges
Arbeiten, wenn der ganze Saal so aussieht .. Furchtbar, ne.*
Pflegekraft B
Pflegekraft B: Schlecht. Ich kann mich ... schlecht, weil ich hab gedacht immer, ... Ja gut, manchmal kommt so die
Phase, wo man vielleicht `n bischen gläubig wird oder so. Wo man
gar nicht gläubig ist.
Das man vielleicht denkt, mein Gott, nicht das ich nachher irgendwie.. auch `n bösen Schicksalsschlag
habe oder so. Aufgrund der Tatsache, daß ich hier mitmacht. So
daß irgendwann die Rache kommt oder, irgendwie sowas ne.
Das man denn irgendwie, an irgend was glaubt.
So ist mir das schon öfters gegangen. Das ich denn denke, um Gottes Willen. Jetzt bist du hier
dabei und ..."
R. Rotondo: "Kannst du das beschreiben, was du
damit meinst, dabei sein oder mitmachen? Wobei?"
Pflegekraft B: "Ja, ich hab das immer als, irgendwie
als .. hmm .. ja ne Art, na, Verbrechen ist auch noch `n bischen zu,
zuviel gesagt, aber jedenfalls war nichts, nichts Gutes. Ne?
Ich habe immer gedacht, daß ist
nichts gutes was wir hier tun und, aber das ist mein Job. Ich krieg
die Anweisung, ich muß da jetzt mitmachen.
Wie ich denke ist egal... Ich weiß
nicht, ob man sich auch weigern kann, in .. in so einer Abteilung.
Das glaube ich nicht. Denn kann man da wohl nicht anfangen, zu
arbeiten. Da wird man auch gar nicht nach gefragt, ob man das möchte
oder nicht. .. Also, ich kam mir immer ziemlich mies vor. ... So als,
ja. Ich weiß nicht, ob man jemanden tötet, das Leben
wegnimmt...
Ne? Das,.. war kein schönes
Gefühl."*
Pflegekraft C:
Pflegekraft C: Gerade auch von der, von Seiten
der Anästhesie, daß die eben einfach die Geräte
abstellt, und die sind dann weg, und alles liegt so da wie wenn, ja
Sie kennen ja dieses Märchen von Dornröschen die sich
sticht, und alles bleibt stehen, und so sieht das dahinter aus. Weil
der Apparat an sich, der ist nur abgestellt, aber Tubus ist noch
drin, es ist alles noch so, wie es .. für eine normale Narkose,
wie es sich für 'ne normale Narkose gehört, und dann ist
das Tuch da, das ist so wie eine, eine Raumtrennung. Und, also
ich beobachte mich, daß ich dann nicht über dieses Tuch
hinausgehe. Weil wir müssen ja noch zunähen, wir
müssen noch den Verband machen, wir müssen dann unsere
Gerätschaften zusammenpacken, und erst wenn das alles geschehen
ist, dann werden ja auch die Tücher abgenommen, und dann hat man
so dieses volle, ja diese Tatsache da .. liegen.
Und dann sind Sie aber auch so gut
wie mit Ihren Kollegen, Kolleginnen also, wir sind ja immer noch
zu dritt, und dann jetzt der Arzt, dann sind wir da allein."
R. Rotondo: " Können
Sie das ein bißchen beschreiben, wie die Reaktionen dann sind?"
Pflegekraft C: Immer Schweigen. .. Also vorher
konnte noch so eine tolle Stimmung gewesen sein, äh Stimmung
jetzt eben, daß man sich auch, es wird weiter geflirtet, es
wird weiter, es ist so richtig wie es halt im Leben im Beruf ist, an
einem Arbeitsplatz und ist - Schweigen."
R. Rotondo: " Ja."
Pflegekraft C: ... Und jeder arbeitet, wir wissen
ja genau was zu tun ist, jeder weiß das und das wird dann, der
Rest wird mehr oder weniger schweigend bis auf so Anweisungen...
Aber was dann eben auch wichtig
ist, ist dann, daß derjenige der dann beteiligt ist, dieses
Gefühl bekommt, das ist eine wertvolle Arbeit. Bis zuletzt. Das
ist das was ich sagte, wenn Sie dann plötzlich feststellen, das
ist im Grunde genommen nur noch ein Entmüllen, ein Müll
wegmachen, das Gefühl darf einfach nicht sein. Und das kann auch
jetzt Ihr Kollege nicht .. mehr kompensieren. Weil das ist dann,
dann kommt nämlich dieses Entsetzen, ja wo sind die
denn alle, bis eben konntest du dein eigenes Wort nicht
verstehen, alle haben hier rumgeschnattert und gemacht, und nun auf
einmal ?, wo sind die denn.
Nun stehen sie da zu zweit. Das, das
ist, das ist ein echter Schocker, wie ich vorhin sagte, aber das
ist dann aber nicht dieses ähm weil eben, das sind
Krankenpflegekräfte, die haben Leichenversorgung gemacht,
das ist nicht das Problem, es geht dir tatsächlich, .. das
ist doch unverschämt."
R. Rotondo: " Mhm."
Pflegekraft C: Da kommt dann so diese .. geballte
Wut. Derjenige, der das das erste Mal erlebt, der kriegt das nur so
gedämpft mit, der weiß nur, daß es plötzlich
'ne völlig andere Atmosphäre ist."
R. Rotondo: " Mhm. Ja,
das muß schon ein krasser Wechsel sein."
Pflegekraft C: Das spürt er. Nä, so
wie, ja sie, sie, sie, das ist ein Theaterstück mit fatalem
Ausgang, dies, was Sie aber nicht erwartet haben."
R. Rotondo: " Ja."
Pflegekraft C: Das ist wirklich Zack!
Doch, kann man indem jetzt eben
vorher gesprochen, der eine oder andere angesprochen wird, Sie
bleiben hier, Sie machen mit, wir machen das dann gemeinsam, und äh,
und daß wir eben als Pflegepersonal darauf äh gepocht
haben, daß das eben Operationen sind wie jede andere auch, und
daß wir auf eine Komplettversorgung, auf einer
Komplettversorgung bestehen, und das hat's gebracht letztlich. Nicht,
gut wir wissen, daß das jetzt angeordnet ist, daß sie
nicht freiwillig bleiben, aber darüber kann ich mich
hinwegsetzen, das ist mir egal. Denn das, aber jetzt ist es so, daß
äh gewisse Dinge eingehalten, einfach bis zuletzt eingehalten
werden, und das nimmt einem auch so den, gut schweigend ist es immer
noch, nicht also jedenfalls nicht sehr, aber ich mein, das gebietet
auch so die Gesamtsituation, man würde sonst bei 'ner, bei
`ner übrigen, anderen Leichenversorgung auch nicht vor sich
hinpfeifen.
R. Rotondo: " Ja."
Pflegekraft C: Das ist einfach so, daß äh
.. schon so die, dies, dieser Anblick .. glaub ich schon von sich aus
einfach, das auch einfordert, ohne daß man es selber merkt, ist
diese, diese, die Körperhaltung, die Physiognomie eines
Toten einfach so, daß, ich glaub der letzte Haudegen
verstummt...
Nur die, die Art, wie's halt
dann, wenn zum Beispiel ähm der Anästhesist dabeigeblieben
wäre, und hätte jetzt am Ende extubiert, wenn der
Operateur den Verband gemacht hätte und wir es, wie wir es
bei Patienten sonst auch tun und das La-, und ihn zudeckt. Aber
dieses - weg, und den Menschen wirklich splitterfasernackt mit seinen
Zugängen da liegen lassen, das ist das.
Das ist es, ein
Schocker, das ist... Aber das hat, das ist, das ist mehr ärgerlich
als, als traurig. Sie kriegen richtig Wut in den Bauch."
R. Rotondo: " Ja."
Pflegekraft C: Mensch, das muß nicht so
sein."
R. Rotondo: " Ja, ist
der Schock, ist das das So-Weggehen, Schock über
dieses äh, die Art des Weggehens, oder auch der Anblick, oder
beides?"
Pflegekraft C: Nein, die Art, wie sie das einfach
verlassen. So wie schmutzig gemacht, hingeschmissen, und der nächste,
der kann das dann, also `ne Miß-, es kommt so dieses,
dieses, diese Mißachtung der Tätigkeit, der
Gesamttätigkeit, äh diese, ja, also ich wurde regelmäßig
wütend dadrum. Abgesehen daß wir meistens dann auch äh
Frauen waren, und dann, wenn das dann kräftige Menschen waren,
denn mußten sie, daß wir körperlich dann auch noch
da alleine standen, und dann haben wir uns hier und da auch jemanden
zurückgepfiffen, aber wirklich, nä, aber das ist irgendwo,
war das, das ist nicht befriedigend, das ist keine, die Arbeit ist
nicht komplett abgeschlossen, das ist nicht zufriedenstellend."
R. Rotondo: " Mhm."
Pflegekraft C: Das mach ich ja mit einem, und
vielleicht ist das auch so, weil wir halt den Umgang immer nur mit
ähm, eben - vom Tisch gehen alle Patienten -, und sie werden
halt bis zuletzt liebevoll umsorgt, auch wenn das so für den,
für den OP-Bereich oft abgestritten wird, aber es ist so, daß,
der Patient kriegt seinen Verband, der Patient der wird zugedeckt,
der Patient dem werden die Arme angelegt wieder, weil er ja ins Bett
rübergelegt wird, und da helfen halt alle mit und so wie der
rausgefahren wird, extubiert, und ja, das sind Handlungen, dann ist
er, liegt er im Bett und ist komplett."
R. Rotondo: " Ja."
Pflegekraft C: Und hier ist es so, eben dieser
Bruch, hinterm Tuch passiert schon gar nichts mehr, seit mehr als
'ner Viertelstunde womöglich, und das ist einfach alles so
fallengelassen.*
Pflegekraft D:
Pflegekraft D: Ich habe immer das Gefühl, man war
mal wieder irgendwo Handlanger. Ja, ohne vielleicht je zu,
wissen, daß man vielleicht jemanden, das heißt dem
Empfänger, geholfen hat. Oder, ob da irgend jemand, irgend
jemand nur das Sterben verlängert wird. So irgendwie der
Durchblick fehlt mir einfach. Ja, .. ich kann nur hoffen, daß
Chirurgen da oder Ärzte, nach besten möglichen ethischen,
moralischen Grundsätzen verfahren, mit ihrer
Transplantationsgeschichte...
Hm, ... so oft denk ich immer
irgendwie so, bei diesen ganzen Versuchen im Dritten
Reich kann's ja nicht anders zugegangen sein. .. Da waren
auch wohl immer irgendwelche Handlanger da, .. die halt da mitgemacht
haben. Ich mach genau so mit. Die vielleicht auch keinen Durchblick
gehabt haben, weiß ich nicht. Ich sag's eben. .... Was man
natürlich sehr oft bezweifelt.
Also, rein vom logischen, wenn
ich mir jetzt den Kopf zerbreche, dann .. müßte es so
sein, daß ich nach einer Spende vielleicht betrübt nach
Hause gehe, weil die Organe ja, weil jetzt einer gestorben ist. Und
nach einer Implantation gehe ich erfreut nach Hause, weil ja ein
Mensch gerettet ist. Aber nein, es steht ja schon so in den
Schriften, der diversen Organisationen, daß ja von einem
Spenderpatienten sieben Leben, sieben Menschenleben gerettet werden
könnten (lacht). Deshalb müßte man sich auch beim
Spenderpatienten schon freuen. Aber ich find das alles irgendwie
furchtbar und eigentlich am liebsten würde ich gar nichts mit
dem zu tun haben wollen.*
*Quelle: Interviewaufnahmen, die Roberto Rotondo mit Pflegekräften für seine Diplomarbereit "Belastung und Bewältigung von Pflegekräften in der
Transplantationsmedizin." im Studiengang Psychologie des
Fachbereichs Psychologie der Universität Hamburg führte.
Klassifikation: 428 Krisen, Konflikte, Reaktionen und 890
Spezielle Probleme der angewandten Psychologie. Hamburg, den 28.
Juni 1996
Monika Grosser, Krankenschwester
Grosser, M.: "Wer glaubt, nun sei es
vorbei, der irrt. Ich werde nach Hause gehen, mich schlafen legen,
und dann werde ich im Traum noch einmal das Ganze erleben. Ich werde
diesen Toten sehen, der erst sein eigenes, dann das Gesicht eines mir
nahestehenden Menschen und schließlich mein Gesicht tragen
wird. Alles verdrängte, Verschluckte, ein Hexenkessel voller
Gefühle wird aufbrechen. Sie werden ihr grausames
Spiel mit mir treiben - ungehindert, ungebremst, sich austoben
bis zum Exzess. Erst danach wird diese Entnahme für mich vorbei
sein."
Grosser, M. Organentnahmen aus der Sicht einer Krankenschwester im Operationsdienst. In: Striebel, H. W. & Link, J. (Hrsg.): Ich pflege Tote. Die andere Seite der Transplantationsmedizin. Basel; Baunatal: Recom 1991, S. 70 f.