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Veröffentlichung zur Organspende und Transplantation


»Einwilligung in die Organentnahme (Organexplantation)«


Roberto Rotondo (Hamburg), Psychologe und Krankenpfleger

Fremdbestimmt explantiert

96 Prozent der »OrganspenderInnen« haben in die Entnahme ihrer Körperteile nicht schriftlich eingewilligt

März 2002


»Organspenden« sind in Deutschland meistens fremdbestimmte Handlungen. Nur jeder 25. »Hirntote«, dem im Jahr 2000 Nieren, Leber oder Herz entnommen wurden, hat schriftlich eingewilligt.

»Die persönliche Entscheidung für oder gegen eine Organspende ist für jedermann - auch für die Angehörigen eines Verstorbenen bindend.« So steht es in einer Informationsbroschüre zum Transplantationsgesetz (TPG), herausgegeben vom Bundesgesundheitsministerium. Der Alltag sieht offensichtlich anders aus: Laut Bericht der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO), die »Organspenden« koordiniert, wurden im Jahr 2000 hierzulande Körperteile von 1026 »hirntoten « Menschen entnommen. Lediglich 41 von ihnen (4 %) hatten laut DSO-Bilanz eine zustimmende schriftliche Erklärung hinterlassen, meist im so genannten »Organspendeausweis«.

Die Regel sind fremdverfügte Explantationen. Sie können nach dem TPG zulässig sein, der juristische Rechtfertigungsbegriff dafür heißt »mutmaßlicher Wille« des »Hirntoten«, den die Angehörigen »beachten« sollen, wenn keine Vorabeinwilligung zur »Organspende« dokumentiert ist. Konkrete Hinweise könnten frühere mündliche Äußerungen der potenziellen OrgangeberInnen sein. Diese sollen laut DSO im Jahr 2000 in 9 % der Entnahmefälle vorgelegen haben. Bei 81 % der Organentnahmen hatten sich die »SpenderInnen« zuvor weder schriftlich noch mündlich erklärt. Die Angehörigen stützten ihr stellvertretendes »Ja« zur Körperteilentnahme auf eigene Vermutungen. Worauf diese fußten, wollte BioSkop von der DSO wissen. Die Antwort fiel sehr knapp aus: »Die Anhaltspunkte für einen mutmaßlichen Willen«, schreibt die DSO, »sind im Gespräch zwischen den Angehörigen und dem Arzt zu erörtern.«

Anhaltspunkte kann auch die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung nicht nennen. In ihrer Broschüre »Wie ein zweites Leben« erläutert ein Fallbeispiel, wie Angehörige einwilligen. »Ich konnte mich nicht daran erinnern, wie meine Frau zur Organspende stand«, lautet die Überschrift. Die Tochter »fand, wenigstens könne jemand anders dann weiterleben...«. Vater und Sohn »glaubten«, im Sinne der Betroffenen zu handeln, begründeten dies aber nicht weiter. Das Beispiel zeigt, was der juristische Kunstgriff »mutmaßlicher Wille« tatsächlich umschreibt: Vermutungen von Angehörigen, die dem Willen des »Hirntoten« entsprechen können, aber keineswegs müssen.

Auf reine Willkür beim Ja zur Organentnahme deutet eine weitere Zahl aus dem DSO-Bericht hin: »In 6 % der Fälle entschieden die Angehörigen nach eigenen Wertvorstellungen für eine Organspende.« Zur Erläuterung teilte uns die DSO mit: »Ist auch ein mutmaßlicher Wille des Verstorbenen nicht ermittelbar, z. B. bei Kleinkindern, können die entscheidungsberechtigten Angehörigen eine eigene Entscheidung treffen. « Dies steht zwar nicht im TPG, wird aber durch einen Gesetzeskommentar gestützt, der Anfang 2001 erschienen ist. Die drei AutorInnen, unter ihnen Helmut Sengler aus dem Bundesgesundheitsministerium, halten eine Organentnahme gemäß Wertvorstellungen der Angehörigen für zulässig bei »Personen, die aufgrund ihres Alters oder ihres Gesundheitszustandes zu Lebzeiten keine wirksame Einwilligung oder keinen wirksamen Widerspruch erklären konnten«. Bei diesen Menschen sollen die Angehörigen nach Meinung von Sengler und Co. einen »natürlichen Willen« zu beachten haben. Wird eine solche juristische Kreation akzeptiert, kann sie als Allzweckwaffe zur Organbeschaffung dienen: Nach dieser Logik kann jedem, der nicht fähig ist, rechtswirksam einzuwilligen - neben Kindern etwa auch Demenzkranke, komatöse und geistig behinderte Menschen - stets ein »natürlicher Wille« zum Organe »spenden« unterstellt werden - und zwar auch zur so genannten »Lebendspende«.

Versuche, die hierzulande verbotene »Lebendorganspende« Nichteinwilligungsfähiger zu legalisieren, gibt es längst. Erinnert sei nur an die - von Deutschland nicht ratifizierte - Bioethik- Konvention des Europarates. Artikel 20 erlaubt die »Entnahme regenerierbaren Gewebes bei einer einwilligungsunfähigen Person«, wenn ein geeigneter einwilligungsfähiger »Spender« nicht zur Verfügung steht und das Organ auf Bruder oder Schwester übertragen werden soll.


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update: 10.01.2004    by: Roberto Rotondo