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Veröffentlichung zur Organspende und Transplantation


Nicht so genau hingesehen

Handel mit menschlichen Körperstücken ist in vielen Staaten verboten – und findet trotzdem ständig statt

Roberto Rotondo (Hamburg), Psychologe und Krankenpfleger

Juni 2002


Geschäfte mit menschlichen Körperteilen sind in Deutschland und vielen anderen Staaten illegal. Trotzdem gibt es immer wieder PatientInnen und MedizinerInnen, die Mittel und Wege finden, das Handelsverbot zu umgehen. Moderne Kommunikationstechnik macht's möglich, vor allem das Internet. Und hilfreich können auch Gutachter, Transplanteure und Staatsanwälte sein, die bei alledem nicht so genau hinsehen.

 

Der Freiburger Chirurg Günter Kirste reiste im Mai 1999 nach Basel, um dort zu tun, was das deutsche Transplantationsgesetz (TPG) verbietet. Im Kantonsspital übertrug Professor Kirste einem 63-jährigen Deutschen eine Niere eines Schweizers, als Gegenleistung erhielt dessen Ehefrau eine Niere der Gattin des Deutschen. Diese so genannte »Überkreuz-Spende« sei nicht rechtens gewesen, weshalb die Krankenkasse die Operationskosten auch nicht erstatten müsse, urteilte im Januar 2001 das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen. Begründung: »Spender« und »Empfänger« hätten sich nicht »in besonderer persönlicher Verbundenheit offenkundig nahe« gestanden. Genau dies verlangt aber das TPG, das Gebot soll Geschäftemacherei mit Körperteilen verhindern helfen.

Die nahe liegende Frage, ob sich Transplanteur Kirste durch Mitwirken an diesem Körperteiltausch womöglich strafbar gemacht hat, war nicht Thema des Sozialverfahrens. Da sich auch nach dem LSG-Urteil kein Strafverfolger veranlasst sah, dem Fall auf den Grund zu gehen, ergriff BioSkop die Initiative. Im August 2001 erstatteten wir Anzeige gegen Professor Günter Kirste. Ein halbes Jahr später teilte uns die zuständige Staatsanwaltschaft Freiburg mit, sie habe das Ermittlungsverfahren eingestellt. Zum einen sei die in Basel erfolgte Überkreuz-Transplantation nach schweizerischem Recht nicht verboten. Zum anderen habe Kirste nicht gegen das Verbot des Organhandels verstoßen, den deutsche Strafverfolger auch verfolgen müssen, wenn er im Ausland stattgefunden hat. Die Einstellungsbegründung ist so verwirrend wie bemerkenswert: Im TPG, so die Freiburger Staatsanwaltschaft, sei nicht definiert, was unter »Handeltreiben« mit Organen zu verstehen sei. Zwar spreche einiges dafür, dass »Überkreuz-Spenden« ein »Handeltreiben« im Sinne von »Tauschhandel« darstellten. Gegen diese Annahme spreche aber, dass keine »Umsatzförderung « vorliege, wenn ein Kranker Körpersubstanzen erwirbt, um sie auf sich selbst übertragen zu lassen. Fazit der Staatsanwaltschaft: Überkreuz-Spenden seien »jedenfalls nicht generell verboten«, eine Strafbarkeit sei im konkreten Fall nicht gegeben.

Mit Ermittlungen in diesem Stil wird man Handel im Zusammenhang von »Überkreuz- Organspenden« jedenfalls nicht auf die Spur kommen können. Sicherheit können auch Gutachterkommissionen zur »Lebendorganspende« nicht gewährleisten, die in Deutschland überprüfen müssen, ob sich ein Gesunder ein Körperteil freiwillig und ohne Bezahlung herausschneiden lassen will. (Siehe BIOSKOP Nr. 12).

Prüferwechsel ohne Probleme

Wer hartnäckig und mobil ist, kann Entscheidungen kritischer GutachterInnen durch weniger kritische »korrigieren« lassen. Das zeigte sich im Januar 2002, als die Ethikkommission der Ärztekammer Nord-Württemberg das Vorhaben einer jungen Frau ablehnte, ihrer Freundin eine Niere zu »spenden«, weil sie die Freiwilligkeit nicht als erwiesen ansah. Die Freundinnen wandten sich darauf an die Freiburger Universitätsklinik, wo die Gutachter der Bezirksärztekammer keine Einwände hatten. Die Transplantation fand statt.

Orts- und Prüferwechsel nach missliebigen Gutachten kommen offenbar öfter vor. Der folgende Fall ist allerdings besonders brisant, weil neben »Spender« und »Empfänger« auch der Transplanteur vorübergehend die Klinik wechselte. Im November 2001 erschienen zwei Männer im Transplantationszentrum der Universität Essen. Der eine war aus Israel angereist, der andere kam aus Moldawien und stellte sich als »Vetter« des rund 30 Jahre älteren Israelis vor. Der Moldawier erklärte, er sei bereit, eine Niere an den Israeli zu »spenden«. Dies lehnten die Essener Gutachter jedoch ab, sie bezweifelten, dass zwischen den Männern jene enge emotionale Bindung besteht, die für das Verpflanzen eines Körperstückes juristisch vorausgesetzt wird. Mehr Erfolg hatten die Beiden im thüringischen Jena, dort gaben Gutachter ihnen grünes Licht. Besonders pikant: Als die Niere Anfang Dezember wie gewünscht im Jenaer Uniklinikum entnommen und übertragen wurde, operierte ein Transplanteur aus dem fernen Essen mit, nämlich Professor Christoph Broelsch, der auch als »Leibarzt« von Bundespräsident Johannes Rau bekannt ist.

Der Verdacht, der Israeli könne seinem angeblichen »Vetter« aus dem armen Moldawien die Niere abgekauft haben, stand im Raum; bewiesen wurde dies jedoch nicht. Kein Geheimnis ist es jedoch in Fachkreisen, dass Israelis häufig Körperteile im Ausland erwerben und sich dort auch übertragen lassen. Israelische Krankenkassen übernehmen die Kosten, die Nachbehandlung findet dann im Heimatland statt. Zum Beispiel in der Jerusalemer Hadassah-Universität, wo Michael Friedlaender als Koordinator für Nierentransplantationen arbeitet. Im März 2002 erläuterte Friedlaender in der renommierten Fachzeitschrift The Lancet, dass jeder vierte Nierentransplantierte, der in der Hadassah-Universität versorgt werde, das fremde Körperteil im Ausland erworben habe, zum Beispiel in Staaten wie Irak, Indien, Ägypten, Estland, Jugoslawien, Rumänien, Georgien, Türkei oder USA. Die Preise seien höchst unterschiedlich: Für Operationen in den USA seien PatientInnen bereit, über 200.000 US-Dollar zu bezahlen. In Bagdad sollen solche Transplantationen ungleich günstiger sein, die Rede ist von 7.000 US-Dollar.

Eigentlich dürften Körperteile in den USA oder in Europa gar nicht zu erwerben sein, weil dort Organhandel unzulässig ist. Doch die Verbote sind leicht zu umgehen. Wie das funktioniert, hat die New York Times im Mai 2001 ausführlich berichtet. Jim Cohan, Broker aus Los Angeles, der sich »Internationaler Transplantationskoordinator « nennt und weltweit zu Diensten ist, bringt KäuferInnen und VerkäuferInnen zusammen. Kontakt zu Cohan kann man über das Internet herstellen; er organisiert die gesamte Transaktion, von der Kontaktherstellung zu Klinik und ÄrztInnen im jeweiligen Land bis zur Flugreise. Käufer und Verkäufer treffen sich beispielsweise in den USA, um die Operation vornehmen zu lassen. Jede US-Klinik hat eine Kommission, die prüfen soll, ob alles mit rechten Dingen zugeht. »Spender« und »Empfänger« müssen nur schriftlich bestätigen, dass kein Geld im Spiel ist. Dann wird operiert, anschließend reisen »Spender« und Empfänger wieder ins Ausland. Ob wirklich kein Geld den Besitzer gewechselt hat, ist für Prüfer dann nicht mehr zu ermitteln. Für den gesamten »Service« bezahlt der Käufer 145.000 US-Dollar. Der Vermittler kassiert zehn Prozent der Gesamtsumme.

Überall auf der Welt

Das Internet bietet weitere Möglichkeiten. Wer sich ein wenig Mühe macht und dort so genannte »Dialyse-Foren« oder »Newsgroups« aufsucht, findet weltweit Menschen, die Körperteile nachfragen und andere, die welche verkaufen möchten. Über Staatsgrenzen hinweg können Kontakte und »Nähe« hergestellt werden. Dann braucht man sich nur noch ein Land aussuchen, in dem die gewünschte Organübertragung stattfinden soll. Voraussetzung für den reibungslosen Ablauf ist allerdings, dass Kommissionen, TransplanteurInnen und StaatsanwältInnen nicht so genau hinsehen.

Professor Broelsch konzentriert sich auf seine beruflichen Fähigkeiten. Nachdem Kritik auch in der Essener Uniklinik an seiner - im eigenen Haus zuvor abgelehnten - Jenaer Transplantation laut geworden war, erläuterte der Chirurg der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung: »Ich operiere überall auf der Welt. Wenn ich hinzu gebeten werde, bin ich Arzt und kein Richter.« Juristischen Ärger für den Präzedenzfall hat er wohl ebenso wenig zu befürchten wie der »Überkreuz-Spenden «-Tabubrecher Kirste.

Tatsächlich ist Broelsch ein gefragter Mann, auch im Ausland. So wirkt der Essener Transplanteur nebenbei auch als Professor in Israel - und zwar an jener Hadassah-Universität, in der man es für opportun hält, OrgankäuferInnen nachzuversorgen. Der dortige Transplantationskoordinator Friedlaender tritt offen dafür ein, Handel mit Körperteilen zu legalisieren. Dazu bewogen habe ihn sein Kontakt zu DialysepatientInnen, die Nieren erworben hätten, schrieb er in Lancet. Friedlaenders Position dürfte auch Broelsch bekannt sein.

Anfang Juni findet in Essen eine internationale Tagung zu Transplantationen nach Lebendorganspende statt. Als »Höhepunkt des Symposiums « empfiehlt Gastgeber Broelsch die Vorlesung des Chicagoer Soziologie- und Ökonomieprofessors Gary S. Becker. Sprechen wird Becker über »wirtschaftliche Aspekte von Organspenden«.

(Siehe Randbemerkung unten: Finanzielle Anreize)

Finanzielle Anreize

»Wenn die Nachfrage das Angebot gewöhnlicher Waren übersteigt, wird der Preis für die Lieferanten angehoben, um sie zu bewegen, die verfügbare Menge zu steigern. Nutzt man ähnliche Anreize, würde dies mehr Menschen dazu bewegen zu erlauben, dass ihre Organe nach ihrem Tod für Transplantationen genutzt werden. Die Bundesregierung könnte zum Beispiel als Autorität bestimmt werden, die als einzige die Befugnis hat, Organe für Transplantationen zu kaufen und sie an Krankenhäuser mit Patienten zu verteilen, die Transplantationen brauchen. Mir ist bewusst, dass viele Menschen entsetzt sein werden über jeden Vorschlag, finanzielle Anreize zu nutzen, um für Transplantationen Organe Gestorbener zu beschaffen. Sie halten den Kauf von Organen für unmoralisch. Sie sagen, dass arme Menschen benachteiligt werden, dass dies zur Begünstigung der Reichen führen wird, dass es zu teuer werden wird. Es mag noch andere Einwände geben. Ich schlage vor, den Erwerb von Organen in Erwägung zu ziehen, ausschließlich deshalb, weil andere Veränderungen des gegenwärtigen Systems bisher ungeheuer unzureichend gewesen sind, um den Organmangel zu beenden.« aus einem Aufsatz von Professor Gary S. Becker, veröffentlicht am 20.1.1997 im US-amerikanischen Wirtschaftsblatt Business Week. Becker ist nun als »Höhepunkt « eines Symposiums angekündigt, zu dem der Essener Transplanteur Christoph Broelsch KollegInnen aus aller Welt vom 6.-7. Juni 2002 in die Ruhrmetropole eingeladen hat.

 

© ROBERTO ROTONDO, 2002
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update: 10.01.2004    by: Roberto Rotondo