Fünftausend Krankenschwestern und –pfleger in Deutschland erhielten im April 1994 unaufgefordert einen Brief von der medizinischen Fakultät der Universität Witten/Herdecke. Inhalt: ein »Einstellungsfragebogen zur aktiven Sterbehilfe«. »Mit dieser Erhebung soll erreicht werden«, hieß es in dem Begleitschreiben, »dass die häufig und praktisch mit diesen Problemen befaßten Personengruppen mit ihrer Erfahrung, ihrer Einstellung und ihrem Urteil zu Wort kommen.« Denselben Fragebogen legten die Forscher auch einer Fachzeitschrift für Altenpflege bei. So erreichten sie, dass sich an der Umfrage schließlich 3004 Schwestern und Pfleger beteiligten, die in Stationen von Allgemeinkrankenhäusern, Intensivstationen, Alten- und Pflegeheimen, psychiatrischen Einrichtungen und Sozialstationen arbeiten.
Demnach haben 16 % derjenigen, die den Fragebogen ausgefüllt zurückschickten, angekreuzt, sie würden »aktive Sterbehilfe praktizieren«, wenn sie hierzulande legal sei. Erheblich mehr Schwestern und Pfleger würden »aktive Sterbehilfe« erlauben: 44,3 % der Befragten sind mit einer Legalisierung einverstanden, 31,7 % sind dagegen, 24 % unentschieden. Knapp zwei Drittel halten es unter bestimmten Umständen für »gerechtfertigt, menschliches Leiden aktiv zu beenden«, 38,6 % sind in jedem Fall dagegen. 92 % der BefürworterInnen finden die Tötung des Patienten dann gerechtfertigt, wenn er einwilligungsfähig ist und selbst die »aktive Sterbehilfe fordert«, über 37 % sind auch dann dafür, wenn der Betroffene zu einer selbstbestimmten Entscheidung nicht mehr fähig sei, bald sterben werde und die Angehörigen mit aktiver Sterbehilfe einverstanden seien.
Das »Antwortverhalten«, so Beine, werde »entscheidend beeinflußt« durch die Berufszufriedenheit. Dies lasse »vermuten, dass die eigene berufliche Unzufriedenheit dem ständigen Umgang mit leidenden, verwirrten und sterbenden Menschen teilweise oder ganz zugeschrieben wird«. Patiententötung erscheine vielen Pflegekräften offenbar als ein Ausweg: »Überwiegendes Motiv für die abgegebenen Voten dürfte sein, dass von der Legalisierung der aktiven Sterbehilfe eine Verringerung des täglichen Leidens erwartet wird.« Beine fragt rhetorisch: »Wären die Befürworter aktiver Sterbehilfe genauso viele, wenn die psychosozialen und emotionalen Bedürfnisse der Leiden wie des Personals mehr Beachtung fänden?« Antworten und konkrete Vorschläge kann er mit seiner Studie allerdings nicht liefern.
Tatorte sind in der Regel Krankenhäuser, seltener Altenheime. Zum Alltag vieler MitarbeiterInnen gehören unzureichende Personalausstattung, veraltetes Gerät, oft streng hierarchisch geprägte Organisations- und Leitungsstruktur, dürftiger Kommunikationsfluß, Spannungen im Team, Mangel an Strategien zur Streßbewältigung und in der Folge das Ausgebranntsein (Burnout-Syndrom). Das alles vor dem Hintergrund, dass die Zahl der alten, chronisch kranken und als »unheilbar« eingestuften PatientInnen in der stationären Versorgung zunimmt. Natürlich führen diese Rahmenbedingungen nicht zwangsläufig dazu, dass PflegerInnen PatientInnen töten, die Tat hat mit Sicherheit jeweils eine persönliche Vorgeschichte. Doch diejenigen, die zu TäterInnen wurden, waren diesen Belastungen offensichtlich nicht mehr gewachsen.
Die inzwischen zum »Unwort des Jahres 1998« gekürte Aussage des Präsidenten der Bundesärztekammer, Karsten Vilmar, dass Budgetierungen der Ärzteeinnahmen durch die Bundesregierung dazu führen würden, dass »wir insgesamt überlegen müssen, ob wir das sozialverträgliche Frühableben fördern müssen«, lenkt von eigenen Taten ab. Es war der BÄK-Vorstand, der im September ohne Not »Grundsätze zur ärztlichen Sterbebegleitung« beschlossen hat, bei denen es nicht mehr nur um einen »vermuteten Auftrag« oder einen »vermuteten Sinn« geht, sondern um konkrete Handlungsanweisungen für MedizinerInnen, unter welchen Bedingungen sie Menschen, die nicht im Sterben liegen (zum Beispiel WachkomapatientInnen und schwerstbehinderte Neugeborene), durch Abbruch der notwendigen Behandlung ums Leben bringen können. Absehbar ist, dass solche Papiere das »frühere Ableben« von PatientInnen fördern werden - was von Einnahmeausfällen für ÄrztInnen sicherlich nicht behauptet werden kann.
Man mag hinzufügen: Auch diejenigen, die Rahmenbedingungen beeinflussen, sollten dies tun, zum Beispiel GesundheitspolitikerInnen und Bundesärztekammer.
Amerikanische Studie von 1996. Australische Studien von 1992/93 und 1994.