Hamburg, den 22.03.2005
In seiner Stellungnahme für die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) vom 7. März 2005 zur Anhörung der Enquete-Kommission 'Ethik und Recht der modernen Medizin' zum Thema "Organisation der postmortalen Organspende in Deutschland" am 14.03.2005 machte Prof. Dr. Günther Kirste (Vorstand der DSO) folgende Aussage: "Auch hoch ausgerüstete Krankenhäuser verweigern häufig die Übernahme eines Organspenders, weil zum Zeitpunkt der Übernahme nicht absehbar ist, ob ein Hirntod eintritt …" Die Wortwahl ist entlarvend! Prof. Dr. Günter Kirste bezeichnet und betrachtet als offizieller Vertreter der DSO einen schwer kranken Intensivpatienten als "Organspender", obwohl nicht einmal "absehbar ist", ob der "Hirntod" überhaupt eintreten wird! Vor der Hirntoddiagnostik kann man darüber spekulieren, ob ein "Hirntod" eintreten wird, mehr nicht! Die DSO bemängelt also, dass ein Intensivpatient, der nach geltendem Gesetz noch nicht als "hirntot" und in der Konsequenz als "Organspender" betrachtet werden darf, nicht schon vor dem Eintritt des "Hirntodes" in eine Klinik verlegt wird, die Organentnahmen und -implantationen vornehmen kann. Wenn man im Hinblick auf eine mögliche Organentnahme dazu übergehen würde, Intensivpatienten in Transplantationszentren zu verlegen, noch bevor der "Hirntod" absehbar ist, wäre die Angst vieler Menschen berechtigt, die glauben, man würde im Fall eines schweren Unfalls oder einer intensivmedizinischen Behandlung nicht adäquat behandelt, sobald man einen Organspendeausweis bei sich trägt. Ängste, die auch der DSO bekannt sind. Prof. Dr. Kirste nennt sie in seiner Stellungnahme, als einen von mehreren Gründen, weshalb Menschen keinen Organspendeausweis bei sich haben. Krankenhäuser, die die Übernahme von Intensivpatienten verweigern, bei denen der "Hirntod" nicht absehbar ist, handeln korrekt, solange die anfragenden Krankenhäuser keinen Mangel an Behandlungsmöglichkeiten für diese Patienten vorweisen können. Solange Kliniken und Ärzte diesen "Wünschen" nicht nachkommen, können Menschen beruhigt und sicher sein, dass sie adäquat auf einer Intensivstation behandelt werden, obwohl sie einen Organspendeausweis bei sich tragen. Doch Prof. Dr. Kirste sieht in der Weigerung einen Intensivpatienten zu übernehmen, sogar ein "ernstzunehmendes Problem". Weshalb verweigern Kliniken die Übernahme eines Intensivpatienten? Der Begriff "Organspender" darf erst nach der Hirntoddiagnose angewendet werden, weil sich die Behandlung und vor allem die Zielsetzung der Behandlung eines Intensivpatienten von der eines "Organspenders" erheblich unterscheidet. Das Ziel einer Intensivbehandlung bei lebenden, schwerkranken und nicht "hirntoten" Patienten besteht in dem Versuch Leben zu erhalten, die Gesundheit zu schützen und wieder herzustellen sowie Leiden zu lindern. Die sich weigernden Kliniken bzw. Ärzte, verweigern nicht die Aufnahme eines Intensivpatienten, sondern ihn als "Organspender" anzusehen, solange der "Hirntod" noch nicht eingetreten ist. Insbesondere, weil diese Intensivpatienten schon auf einer Intensivstation behandelt werden, also bestmöglich versorgt sind. Weshalb sollten diese Kliniken ihre freien Kapazitäten nicht für andere Patienten vorhalten? Wenn Intensivpatienten "hirntot" sind, was laut Bundesärztekammerrichtlinien nur durch eine entsprechende Diagnostik feststellbar ist, werden sie in Deutschland zu über 90 Prozent innerhalb von 24 Stunden explantiert, sofern eine Einwilligung vorliegt. Davor wird eine spezielle "organprotektive" Behandlung und Pflege (Spenderkonditionierung) praktiziert, die nur dem Organerhalt gilt. Sie unterscheidet sich von dem normalen Vorgehen bei Intensivpatienten. Es gibt zwar die gesetzliche Meldepflicht von "Hirntoten", nicht aber die gesetzliche Pflicht, diese Patienten zu verlegen. Liegt ein "hirntoter" Intensivpatient auf einer Intensivstation einer Klinik, in der nicht explantiert wird, muss er nur dann in ein entsprechendes Zentrum verlegt werden, wenn eine Einwilligung zur Organentnahme vorliegt. Bei diesen "Patienten" ist die Diagnostik abgeschlossen und sie gelten laut Gesetz als Tote. Weshalb sollten Transplantationskliniken die Übernahme dieser "Patienten" ablehnen? Sie müssen nicht mehr lange intensivmedizinisch behandelt und gepflegt werden, die Diagnostik ist größtenteils abgeschlossen und die Entnahmeoperation kann innerhalb der nächsten 24 Stunden vollzogen werden. Sie blockieren nicht lange ein Intensivbett, die Zielsetzungen sind eindeutig, außerdem wird mit Transplantationen Geld verdient. Eine Verlegung von Intensivpatienten, die nicht "hirntot" sind, so wie die DSO sie anregt, wird im Hinblick auf eine Organentnahme vorgenommen. Sie wird nicht allein aus medizinischen Gründen angestrebt, die dem zu behandelnden Intensivpatienten zu Gute kommen, sondern im Hinblick für einen potentiellen Organempfänger. Es wäre eine beängstigende Vorstellung, wenn alle Intensivpatienten mit schweren Hirnschädigungen noch bevor absehbar ist, ob ein "Hirntod" eintritt, in entsprechende Zentren verlegt würden. Man kann nur hoffen, dass Prof. Dr. Kirste seine Aussage nicht auch noch auf andere Intensivpatienten bezieht, deren Erkrankungen einen "Hirntod" nach sich ziehen können. Einschränkung in Bezug auf bestimmte Intensivpatienten hat Prof. Dr. Kirste jedenfalls nicht vorgenommen. In seiner Stellungnahme beklagt Prof. Günter Kirste ferner, "dass bei Patienten bei noch nicht nachgewiesenem Hirntod aufgrund einer infausten Prognose die Therapie minimiert oder eingestellt wird und somit auf die Möglichkeit einer Organspende verzichtet wird". Auch diese Aussage bestätigt, dass die Deutschen Stiftung Organtransplantation Menschen, die nicht "hirntot" sind, als möglichen "Organspender" betrachtet. Aber es zeigt sich noch mehr, nämlich die Einstellung der DSO zur Sterbebegleitung und dem Sterbebeistand eines Intensivpatienten. Wenn die Zielsetzungen, Leben zu erhalten und Gesundheit wieder herzustellen, aus medizinischen Gründen auf einer Intensivstation nicht mehr möglich sind, schreibt nicht nur die Menschlichkeit, sondern sogar die BÄK in ihren Grundsätzen zur ärztlichen Sterbebegleitung vor, Sterbenden bis zum Tod beizustehen. Laut Richtlinien der BÄK sind Ärzte dann verpflichtet, Patienten "so zu helfen, dass sie in Würde zu sterben vermögen. Die Hilfe besteht neben palliativer Behandlung in Beistand und Sorge für Basisbehandlung." Therapieminimierung und Therapieverzicht sind demnach fachlich korrekt, solange sie nicht aus wirtschaftlichen Erwägungen heraus geschehen und eine Palliativbehandlung, Beistand sowie eine Basisbehandlung gewährleistet sind. Eine Weiterbehandlung bei Patienten mit infauster Prognose bis zum Eintritt des "Hirntodes" mit dem Ziel eine Organentnahme folgen zu lassen, also in der Konsequenz Intensivtherapie bis das Skalpell angesetzt wird, kann wohl kaum als "würdiges Sterben" oder "Palliativbehandlung" verstanden werden und hat nichts mit "Beistand und Sorge" für den Intensivpatienten zu tun. Wie weit sollen Mediziner in solchen Fällen gehen? Beispielsweise einen Patienten reanimieren, also wiederbeleben nach einem Herzstillstand, obwohl dies dem Patienten aus medizinischen Gründen nicht mehr helfen wird? Es wird offenbar, dass die DSO ein Hinauszögern des Sterbeprozesses eines Intensivpatienten mit infauster Prognose bis zum Akt einer Organentnahme über ein menschenwürdiges Sterben dieses Patienten auf einer Intensivstation stellt. Diese Sichtweise der DSO auf Menschen und das Sterben widerspricht ärztlichen Standesregeln, ist menschenverachtend und zutiefst inhuman und abzulehnen. Die Haltung der DSO erstaunt nicht wirklich, wenn man sich vorstellt, dass natürlich nicht "nur" die Organempfänger von höheren Fallzahlen durch Organentnahmen von "Hirntoten" profitieren. Auch Transplanteure, die für die DSO tätig sind, profitieren. Transplantationszentren und Transplanteure profitieren finanziell direkt von der sogenannten postmortalen Organspende und der Organtransplantation. Aber nicht allein durch die OP an sich, also eine Organentnahme bzw. -implantation, auch an den Folgebehandlungen kann verdient werden. Hinzu kommt, dass auch das menschliche Gewebe enorm profitabel sein kann. So berichtete die Süddeutsche Zeitung (SZ) am 10.3.2005, dass Prof. Axel Haverich, Leiter der Klinik für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie der Medizinische Hochschule Hannover und Transplanteur 2001 die Firma Artiss gegründet hat, die versucht aus menschlichem Gewebe Luftröhren- und Herzimplantate anzuzüchten. Ein "Markt von mehreren Milliarden Mark", so wird Prof. Dr. Haverichs ehemaliger Kompagnon Heiko von der Leyen in der SZ zitiert. Prof. Günter Kirste und Prof. Axel Haverich sind "nebenbei" beide für die DSO tätig. Prof. Dr. Kirste im Vorstand und Prof. Axel Haverich im Stiftungsrat der DSO. Beide waren als Experten am 7. März 2005 zur Anhörung der Enquete-Kommission 'Ethik und Recht der modernen Medizin' geladen. Angesichts der Tatsache, dass Patienten mit infauster Prognose, die noch nicht "hirntot" sind, von der DSO als "Potentielle Organspender" in den Blick genommen werden und Transplanteure selbst finanziell profitieren, bleibt für mich nur die Frage, wer diese Transplanteure bzw. diese Organisation stoppt, damit Patienten sicher sein können, dass sie im Fall eines schweren Unfalls oder einer intensivmedizinischen Behandlung adäquat behandelt werden oder in Würde sterben können, statt bis zum "Hirntod" bzw. zur Organexplantation behandelt zu werden. Ein erster Schritt wäre es, die vielen Ärzte zu stärken, die das Rückgrat haben, sich gegen die abstrusen Vorstellungen der DSO zu widersetzen. Ärzte zu fördern, die einen kritischen Blick auf Transplanteure, Transplantationskoordinatoren und Organisationen werfen, die Intensivpatienten als Menschen betrachten und nicht als Objekt der Begierde, die eine Vorstellung davon haben, was es bedeuten kann, auf einer Intensivstation in Würde zu sterben. Ein weiterer Schritt wäre es, unabhängige Experten zu Anhörungen einzuladen, die nicht selbst von Organtransplantationen profitieren. INFORMATIONSSTELLE