Hirntote" PatientInnen sind sinnlich nicht als Tote erfahrbar, da die sicheren Todeszeichen, z.B. Totenflecken oder Leichenstarre, vollständig fehlen. Sie können zum Teil über Tage, Wochen und Monate am Leben gehalten werden.
Ihr Herz schlägt, und sie atmen mit technischer Unterstützung durch Beatmungsgeräte. Sie fühlen sich nicht wie Tote an, der Stoffwechsel funktioniert und Bewegungen der Arme und Beine sind möglich.
Die Angehörigen können häufig die Erklärungen der Mediziner, wonach ihr hirntoter" Ehepartner, Lebenspartner, Schwester, Bruder, Elternteil oder Kind tot sein soll, nicht nachempfinden. Sie befinden sich in einer Schocksituation, in der sie selber betreuungsbedürftig sind und sollen nun über eine Organentnahme entscheiden, obwohl sie selbst Unterstützung und Beistand brauchen.
Liegt kein Organspendeausweis" vor, sollen die Angehörigen stellvertretend für die PatientIn entscheiden. So werden sie in eine Zwangslage gebracht, aus der es kein Zurück mehr gibt! Sie sind es, die über das Leben und Sterben ihrer Angehörigen, aber auch potentieller OrganempfängerInnen" entscheiden sollen. In einer solchen extremen Situation sind verantwortbare Entscheidungen jedoch kaum möglich. Siehe hierzu:
Organspende aus der Sicht einer Angehörigen, Stellungnahme anlässlich der Expertenanhörung in der Enquete-Kommission Recht und Ethik der modernen Medizin" des Deutschen Bundestages am 6. November 2000. Renate Greinert, Wolfsburg (KAO, Kritische Ansichten über Organtransplantation)
Zwischen Nächstenliebe und Kannibalismus – Organtransplantation aus der Sicht einer Angehörigen. Renate Greinert, Wolfsburg
Oft wird den Angehörigen erst im Nachhinein die Tragweite der Entscheidung deutlich. Im Moment der Trauer lautet die Frage: Hätte nicht eine wartende PatientIn gerettet werden können? Wurde eine "Organspende" abgelehnt, können Zweifel an der Entscheidung auftreten, da man sich für den Tod des potentiellen Organempfängers verantwortlich fühlt.
Ärzte, Transplantationskoordinatoren oder Pflegekräfte werden in speziellen Seminaren (EDHEP) dahingehend fortgebildet, in dieser schwierigen Situation von den Angehörigen die Einwilligung Organspende" zu erhalten.
Entgegen dem eigenen Gefühl, daß der "Hirntote" noch lebt, sind manche Angehörige dem Erwartungsdruck, der in der Bitte um eine Organspende" für andere liegt, nicht mehr gewachsen. Das Ja" zur Organspende" war eher ein Nein" zu noch mehr Tod. Sie wollen bei einer Verweigerung nicht auch noch verantwortlich sein für den Tod eines anderen Menschen, der mit dem Organ weiterleben könnte.
Die Einwilligung in die Organspende" kann im Nachhinein eine Fülle schwerwiegender Belastungen mit sich bringen.
Ein Abschiednehmen ist auf der Intensivstation kaum möglich, da der Hirntote" in lebendigem Zustand in den Operationssaal verlegt wird. Die Angehörige können den hirntoten" Angehörigen im Sterben nicht bis in den Tod hinein begleiten und müssen ihn allein lassen. Sie können ihn nicht wirklich als Toten erfahren.
Einige Angehörige haben das Bedürfnis, sich den Hirntoten", bevor er beerdigt wird, noch einmal anzusehen. Zur Bewältigung der Trauer und des Weiterlebens kann es hilfreich sein, den Toten als Leiche zu erfahren. Im speziellen Fall der Organspende" kann dies jedoch mit sehr negativen Gefühlen einhergehen, da Angehörige häufig nicht auf den Anblick des Toten noch der Organentnahme vorbereitet sind. Erst in diesem Moment wird der Unterschied zum Abschied auf der Intensivstation deutlich. Es kann das Gefühl entstehen, daß das Ja" zur Organspende" den hirntoten" Angehörigen zu einem Ersatzteillager für andere hat werden lassen. Dies kann traumatisch wirken.
Warum haben wir das mit uns und unserem Angehörigen machen lassen?"
Das ist die immer wiederkehrende, quälende Frage!
Im Angesicht eines sterbenden Menschen, bei dem der Hirntod" festgestellt wurde, an Weitergabe, Verwendung oder -wertung von Körperteilen zu denken, kann Fragen, Zweifel und Unbehagen auslösen. Durch unabhängige Informationen zum Thema Hirntod", mit allen Pro´s und Kontra´s, kann es zu einer Klärung der eigenen Wünsche und zu einer bewußten Entscheidung kommen.
Die Beratung ist keine Therapie. Sie kann sich jedoch über einen längeren Zeitraum erstrecken. In Einzelgesprächen oder in Gespräch mit der ganzen Familie kann die Beratung helfen:
den Kummer zu verarbeiten
Gefühle auszudrücken und zu handhaben
seelisch Unerledigtes in Bezug auf den Verstorbenen zu erledigen
sich von diesem Menschen zu Verabschieden und
sich mit der neuen Rollensituation, allein oder in der Familie, zurechtzufinden.