In dieser Bundestagsanhörung soll es gemäß Einladung hauptsächlich um Detail-Fragen gehen:
darum wie Dokumentation, Spenderegister, Organisation der Organentnahme und deren Vermittlung juristisch gefaßt werden können. Der Dammbruch, welcher mit der Juridifizierung des Transplantationsgeschehens einhergeht, bleibt aber unbeachtet.
Allerorten, im Rahmengesetzentwurf, den ergänzenden Anträgen, dem Alternativ-Entwurf von Bündnis 90/Die Grünen, in den schriftlichen und protokollierten Stellungnahmen der vergangenen Anhörungen wird einhellig der Willen zur Rechtssicherheit" bekundet ii . Das Transplantieren soll effektiver, geordneter und vor allem häufiger werden.
Erklärtermaßen wird ein überparteilicher Konsens angestrebt. Die Entnahme von Organen, die bislang lediglich medizinische Praxis und mit einer Selbstverpflichtung der beteiligten Fachkräfte legitimiert ist, soll rechtsstaatlich grundgelegt werden. Ein gesamtgesellschaftliches Einvernehmen wird angestrebt. Die versammelte Politik und die Interessenvertretungen der Transplantationsmedizin wollen auf diese Weise kritische Anfragen in der Gesellschaft beilegen - auch innerhalb der Krankenhäuser, um eine, bislang nicht befriedigend ausgeschöpfte Freiwilligkeitsressource zu mobilisieren.
Und so sähe wohl der ideale Endzustand aus: Bürgerinnen und Bürger entscheiden zu Lebzeiten freiwillig und mehrheitlich, im Falle des Hirntodes" ihren Körper anderen zu überlassen.
Krankenhauspersonal meldet willig im Klinikalltag hirntot erklärte Patienten (im Gesetzentwurf der Regierung gar verpflichtend) an Transplantationzentren. Der Regierungsentwurf läßt an Eindeutigkeit nicht zu wünschen übrig. Die Transplantationsmedizin ist eine Gemeinschafts-aufgabe" iii heißt es dort. Der Rückgang der Spendebereitschaft" sowie die unbefriedigende Meldemoral in den Kliniken ist ausgiebig beklagt iv.
Allein eine Politik des konsensualen Interessenausgleiches hat hier noch ihren Ort. Das läuft auf eine politische Arithmetik im Felde biomedizinischen Fortschritts, institutionalisierter Interessenvertretung und unbedenklich erzeugter Konsumentenansprüche hinaus.
Bisher jedoch steht ein Dilemma im Raum, das juristisch aus dem Weg geräumt werden muß.
Das materiell rechtlich gegebene Problem ist einfach zu benennen: Hirntote" sind, stellt man das (Hirn)Todkriterium in Frage, keine Leichen sondern Sterbende. Sowohl wissenschaftliche Zweifel als auch die unüberbrückbare Diskrepanz zwischen Wahrnehmung und Hirntod-Konzeption haben diese, bis vor wenigen Jahren eindeutige Geschäftsgrundlage der Transplantationsmedizin ins Gerede gebracht. Beatmete Leichen gibt es in der alltagsweltlichen (und auch alltagsmedizinischen) Vorstellung ebenso wenig wie schwitzende, ausscheidende, schwangere und eingeschränkt der Bewegung fähige Tote. Ganz abgesehen davon, daß berechtigte Einwände hervorgebracht werden, wenn unter Führung der Medizin Sterben vollständig seine soziale" Form verliert und dieser Vorgang auch noch in eine organisatorische Form umschlägt - in das Transplantationsmanagement. Wie auch immer Politiker/innen und Jurist/innen, die hier zu befinden haben, das Ende menschlicher Existenz interpretieren, die Zeit der Sicherheit" ist vorbei. Weder die Behauptung, das personale Dasein sei beendet, oder das Ende des Organismus in seiner funktionellen Gesamtheit" v erreicht, noch Testverfahren und einfache Mehrheitsverhältnisse in der scientific community können die Zweifel ausräumen.
Der Wissenschaftliche Beirat der Bundesärztekammer erklärte noch 1993, daß Überlegungen des Lebensschutzes für den Zustand nach Feststellung des Hirntodes nicht mehr relevant' seien. vi Wären (Hirn)Tote sterbend", dann würde sich auch fundamental ihre Rechtsstellung ändern. Ein Mensch, der stirbt, hat uneingeschränkt als lebendig zu gelten und der grundrechtliche Schutz von Leben und Würde (Art. l Abs. l Satz 2 GG und Art.2. Abs. 2 Satz l GG) hat volle Gültigkeit.
Daher mein erstes Fazit: eine Güterabwägung zwischen verlöschendem Leben" und vollwirksamen Leben" vii, wie in der Bundestagsanhörung vom 19.4.96 als Rechtfertigung für tödliche Eingriffe in den lebendigen Körper sterbenden Patienten herangezogen wurde, verbietet sich. Genauso läuft die Lebensrettung bzw. Leidensminderung Dritter viii, die von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen als Begründung für derartige Eingriffe vorgeschlagen wird, auf utilitaristische Abwägungen hinaus, die mit dem Grundrechtsschutz unvereinbar sind. Der argumentative Versuch, den Tod durch Explantation mit dem Abbruch der Intensivbehandlung gleichzusetzen, wie in dem Gesetzentwurf der letztgenannten Fraktion vorgeschlagen, schlägt fehl. Denn eine, auf die Explantation ausgerichtete 'Lebensverlängerung' kann kein Tötungs-recht auslösen" ix
Stellungnahmen innerhalb des Innen-, Gesundheits-, und Justizministeriums bestätigen diese Auffassung. Sie bezeichnen tödliche Eingriffe in das Sterbegeschehen als verfassungswidrig. x Diese laufen dem strafrechtlichen Tötungsverbot (§§ 211 bis 216 StGB) zuwider.. ." xi Eine fragwürdige Folgerung wird anschließend gezogen: Der Gesetzgeber wird aufgefordert, den endgültigen, nicht behebbaren Ausfall der gesamten Hirnfunktionen", unmißverständlich mit dem Tod gleichzusetzen. xii Der Gesetzgeber? Das hieße also, der Gesetzgeber soll mit juristischen Mitteln festlegen, was faktisch nicht stimmig, alltagsweltlich nicht verstanden , wissenschaftlich nicht begründbar und gesellschaftlich nicht akzeptiert ist!
Mein zweites Fazit: Die demonstrierte Einmütigkeit aller Entscheidungsträger, Rechtssicherheit zugunsten des Transplantationsgeschehens herzustellen, kollidiert direkt mit Grundgesetz und Strafgesetzbuch. Vorsätzliche Körperverletzung mit Todesfolge, (was eine Explantation nun einmal ist, wenn sterbenden und damit lebendigen Patienten und Patientinnen lebenswichtige Organe aus dem Leib geschnitten werden) gälte es für rechtens zu erklären. Ein ungeheurer Vorgang!
Die Alternative: Durch Festhalten am Hirntod-Konzept werden weiterhin lebendige Individuen zu Verstorbenen" umdefiniert, so wie es die Transplantationsmedizin für notwendig erachtet. Ebenfalls ein ungeheurer Vorgang!
Eine Politik der Begriffe, die entweder aus Sterbenden Verstorbene" macht, oder aus vorsätzlicher Körperverletzung einen veränderten Modus des Sterbens', xiii verdeckt den politisch gewollten juristischen Dammbruch. Daran ändert die Forderung nach individueller oder übertragbarer Einwilligung nichts.
Drittes Fazit also: Niemand, kein transplantierender Chirurg, kein verteilender Koordinator, kein wartender Patienten kann von seiner" Regierung gesetzliche Absicherung für das eigene Tun und Wollen verlangen, wenn die Grundpfeiler des zivilen Gemeinwesens der politische Preis dafür sind.
Hier fordern pressure groups" politische Entscheidung und staatliche Regulierung in einem Bereich, der aus parlamentarischer Sicht nicht zur Disposition gestellt werden darf.
Konkret bedienen alle gesetzgeberischen Maßnahmen, die das Verteilungsprozedere betreffen, nicht nur die bereits vorhandenen Infrastrukturen (Eurotransplant, KfH/DSO-Organisationsbüros, Transplantationszentren etc.). Sie sind vielmehr auf Expansion ausgelegt. Beide Gesetzesentwürfe, die Vorlage der Regierung sowie der Entwurf von Bündnis 90/Die Grünen holen juristisch nach, was faktisch vorhanden und von interessierter Seite für die Zukunft gefordert ist. Beispielsweise meint die geforderte Schaffung einer Koordinierungsstelle (...) um Entnahme, Vermittlung und Übertragung" von Organen zu koordinieren, die KfH/DSO mit ihrem ausbaufähigen Netz von Organisationsbüros. xiv Die qualifizierte Vermittlungstelle" xv, die auch außerhalb des Geltungsbereiches des Gesetzes liegen" kann, meint die ohnehin schon tätige Stiftung Eurotransplant. Die rechtliche Festlegung einer Meldepflicht von hirntot erklärten Patienten, die im CDU/CSU Entwurf niedergeschrieben ist, kommt einer zentralen Forderung des Transplantationsmanagements nach und soll effizienz-steigernd wirken. Gleiches gilt für die Ausweitung der Lebendspende im vorgenannten Entwurf.
An Stellen wie diesen wird deutlich, wozu die im Vorfeld gern als inhuman beklagte rechtliche Grauzone, in der das Transplantationswesen sich bewegte, beseitigt wird: nicht um des humanen Einzelfall willens sondern um Strukturen zu optimieren und Institutionenkonkurrenzen marktanalog zu ordnen.
Wie wir wissen, sprechen Transplantationsmediziner längst von einem Wettbewerbsverhalten" zwischen Transplantationzentren um auswärtige Spenderkrankenhäuser" und knappe Gemeingüter" (Organe). xvi Die Dimensionen des Wettbewerbs sind mittlerweile international.
Es geht um Grundrechtsverletzungen. Kann vor diesem Hintergrund ernsthaft eine Regierung auf den Plan treten mit dem Argument, es ginge darum, die Standortbedingungen" der deutschen Transplantationszentren zu wahren? Im Rahmen der Anhörung vom 19.4.96 zur Transplantationgesetzgebung konstatierte Gesundheitsminister Seehofer: Unsere Aufgabe als Gesetzgeber kann es nur sein, die Voraussetzungen für Transplantationen und ihre rechtliche Grundlage neu zu gestalten. (...) Wir können uns auf Dauer nicht auf die hohe Spendebereit-schaft unserer Nachbarländer verlassen. (...) Ich möchte betonen, daß es für ein reiches Land wie die BRD auf Dauer moralisch nicht vertretbar wäre, Organtransplantationen nur durch' zuführen, -wenn Organe aus benachbarten Ländern eingeführt werden.“ xvii
Es scheint, daß das traditionelle Exportland Bundesrepublik auch im Bereich der Distribution von Organen eine Art von ausgeglichener Handelsbilanz" anstrebt.
Mein viertes Fazit: Sobald von Organbilanzen" direkt oder indirekt die Rede ist, werden ökonomische Überlegungen in ein Feld hineingetragen, das bisher (noch!) de jure nicht ökonomisch funktioniert oder mindestens nicht funktionieren sollte. Pragmatische Zusatzüberlegungen (Standortfrage, Marktanteile etc.) haben den Grundrechtsschutz im Prinzip bereits preisgegeben. Die Praxis der Transplantationsmedizin eilt dieser nachholenden Entwicklung auf der Ebene der Sprache und Gesetzgebung weit voraus. Bei der Bewirtschaftung des menschlichen Leibes geht es schon längst um Bilanzen". Nicht der bloße Zugewinn an Geld steht hier im Mittelpunkt. Es geht um Institutionenerhalt, um Strukturausbau und letztlich auch um einen allgemeinen Zugewinn an Lebenszeit.
Jedes Transplantationswesen basiert darauf Individuen gegeneinander auszuspielen. Denn die Medizin ist dazu übergegangen, den einen zu versprechen, was die anderen haben (bzw. physisch sind). Deshalb steht mit dem geplanten Gesetzesvorhaben etwas sehr Grundsätzliches zur Entscheidung an. Die Fragen, die sich jede Parlamentarierin und jeder Parlamentarier vorzulegen haben lauten: Sollten Parlamentarier/innen aktiv am expansiven Ausbau dieser medizinischen Struktur mitarbeiten? Läßt sich eine Medizin, die zum Schergen bloßer Verteilungsgerechtigkeit wurde, überhaupt mit unserer Vorstellung von Kultur vereinbaren? Darf das Transplantationswesen überhaupt sein?
Im Juli diesen Jahres jährte sich zum 150 mal ein besonderer Jahrestag. Am 2. Juli 1816 strandete die französische Fregatte Medusa" kurz vor der Küste Senegals. Eilig wurde ein Floß für ca. 200 Schiffbrüchige gebaut, da zu wenig Rettungsboote vorhanden waren. Das Floß war völlig überladen und lag so tief im Wasser, daß es zu sinken drohte. Wenige hatten mehr Überlehenschancen als viele. Je mehr über Bord geworfen wurden, tot oder lebendig, je mehr hob sich das Floß aus dem Wasser,tt berichteten zwei Überlebende. Nach Tagen waren noch 28 Menschen auf dem Floß, mehrere davon verletzt. Stück für Stück verschwanden alle zivili-satorischen Schranken. Um die Überlebenschancen zu erhöhen, beschloß man schließlich, einige der Verbliebenen ins Meer zu werfen. Nicht die Offiziere trafen die Auswahl, sondern man beauftragte den anwesende Arzt. xviii
Ohne dieses historische Ereignis mit der aktuellen Situation analog zu setzen oder als Metapher nahezulegen, drängt sich die Frage auf: sollte man, was der Arzt tat, noch als Medizin begreifen? Diese Frage zumindest hat übergreifende Geltung. Sie betrifft auch die Gegenwart der Transplantationsmedizin und führt mich zum letzten Fazit: Nicht alles, was nützt, verdient den Namen Heilung und nicht alles, was regelt, verdient den Namen Recht.
i Gerhardt, Gerd (Hg), Immanuel Kant, Eine Vorlesung über Ethik, Frankfurt/M. 1990, S. 160f 2 Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und F.D.P., Entwurf eines Gesetzes über Spende, Entnahme und Übertragung von Organen (Transplantationsgesetz - TPG), Drucksache 13/4355 vom 16.04.96, S.2;
ii Gesetzentwurf der Abgeordneten Monika Knoche, Gerald Häfner und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Drucksache 13/2926 vom 7.11.95, S.2; Deutscher Bundestag, Stenographischer Bericht der 99. Sitzung vom 19.04.96, Plenarprotokoll 13/99, S. 8827, S. 8829. S. 8830, S. 8834, S. 8837, S. 8839, S. 8840, S. 8842, S. 8843, S. 8846, S. 8847
iii Gesetzentwurf der Fraktionen CDU/CSU, SPD und F.D.P., a.a.O., S.23
iv ebda., S. 10
v Wiss. Beirat d. BÄK, Dt. Ärztebl. 1993, S. 1975
vi ebda., S. 2177
vii Dt. Bundestag, Stenographischer Bericht d. 99. Sitzung, S. 8840 (Dr. Edzard Schmidt-Jortzig)
viii Gesetzentwurf der Abgeordneten Monika Knoche, Gerald Häfner und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, a.a.O., S. 13
ix Beckmann, Rainer, Ist der hirntote Mensch eine Leiche"? in: ZRP Hf.6 1996, S. 229
x Schreiben 1.2.1996, BMG 312-4090-1/11; Schreiben vom 28.12.1995 BMI; Schreiben vom 18.7.1996 vom BMG an Prof.Dr.Dr. Klaus Dörner
xi Schreiben 1.2.1996, BMG 312-4090-1/11
xii Schreiben 1.2.1996, BMG; Schreiben 18.7.1996 BMG; sowie Schreiben vom 28.12.1995 BMI (Die (..)erforderliche Klarstellung ist im Gesetzestext zumindest dadurch zu bewirken, daß die Überschrift des entsprechenden Abschnitts ausdrücklich die Spende und Entnahme von Organen bei Verstorbenen" nennt, sofern sich die Abgeordneten aus den angeführten Gründen nicht zu einer ausdrücklichen Benennung des Todes" bereit finden können. Außerdem sollte (...) am Anfang (...)formuliert werden: Die Entnahme von Organen bei Verstorbenen ist,..."
xiii Gesetzentwurf der Abgeordneten Monika Knoche, Gerald Häfner und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, a.a.O., S. 13
xivGesetzentwurf der Fraktion CDU/CSU, SPD und FDP, a.a.O., § 10; Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen § 21
xv ebda. §11 und §22
xvi Land, Walther, Das Dilemma der Allokation von Spenderorganen: die Verquickung eines therapeutischen Prinzips mit der Verteilung eines knappen kostbaren Gemeinguts, in: Dialyse Journal 49/1994
xvii Deutscher Bundestag, Stenographischer Bericht der 99. Sitzung, a.a.O., S. 8831
xviii Zeitzeichen 2.7.1996 WDR 5, Strandung der Französischen Fregatte Medusa" 2.7.1816 von Christine Lemmen