Die Bundesrepublik hat gerade aufgrund des breiten und sichtbaren Dissens die Bioethik-Konvention nicht gezeichnet. Insofern ist es befremdlich, daß nun Stellungnahmen zu einem Zusatzprotokoll angefordert werden, das nur von jenen Regierungen unterschrieben werden kann, die auch die Kern-Konvention akzeptierten. Sollen hier etwa - trotz offensichtlicher juristischer, politischer und ethischer Bedenken - neue Fakten geschaffen werden, die einer Akzeptanz der Konvention zuträglich sind? Und wird der Fahrplan für die europaweite Nivellierung nationaler Gesetze auch in der Bundesrepublik unbeeindruckt weiter verfolgt?
Trotz dieser grundsätzlichen Bedenken, Stellungnahmen für ein Zusatzprotokoll abzugeben, das gar nicht zur Diskussion stehen dürfte, möchten wir die Eckpunkte unserer Kritik zum angefragten Themenbereich Transplantation darlegen, in der Hoffnung, daß dies die politische Ablehnung der Europarats-Konvention bestärkt.
Gleiches gilt im Grundsatz für die Entnahme von Geweben, die fremdnützig ist. Auch wenn der oder die Empfänger/in Bruder oder Schwester sind, wie es sowohl die Kernkonvention als auch das Zusatzprotokoll vorsehen, ändert dies nichts an der Tatsache, daß die Organgeber/in (von Spender/in kann in diesem Zusammenhang keinesfalls gesprochen werden) als Mittel zum Zweck der »Heilung« anderer betrachtet wird.
Darüber hinaus gibt es hier eine unzulässige Ungleichbehandlung von Menschen, die als entscheidungs- und geschäftsfähig gelten und Menschen, die diese Voraussetzungen nicht erfüllen. Das deutsche Transplantationsgesetz stellt - zumindest nach dem Wortlaut des Gesetzes - hohe Anforderungen an die »Einwilligung des lebenden Spenders«. Die Gewebe- oder Organentnahme wird ausnahmslos daran geknüpft, daß »die Person volljährig und einwilligungsfähig ist.« Die nach »Landesrecht zuständige Kommission (muß) gutachterlich dazu Stellung (nehmen), ob begründete tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, daß die Einwilligung in die Organspende nicht freiwillig erfolgt ...«
Diese gesetzlichen Voraussetzungen sind mit den Ausnahmeregelungen des Zusatzprotokolls im Blick auf einwilligungsunfähige Menschen nicht vereinbar. Daran ändert auch die - unserer Meinung nach - zynische Überschrift des betreffenden Artikel 13 »Schutz einwilligungsunfähiger Personen bei Organ- und Gewebeentnahmen« nichts.
Wenngleich es einige, kritikwürdige Einzelentscheidungen von Richtern in der Bundesrepublik gibt, die Knochenmarkspenden unter minderjährigen Geschwistern und mit Einverständnis des Sorgeberechtigten zuließen: dies darf nicht zum juristischen Normalfall und gar noch auf die Gruppe der Menschen mit geistiger Behinderung ausgeweitet werden. Die gesamte Konvention zuzüglich ihres Zusatzprotokolls zur Organtransplantation würde dieser Ausweitungslogik Tür und Tor öffnen.
Im Zusatzprotokoll der Bioethik-Konvention ist von »verstorbener Person« die Rede. In »Übereinstimmung mit der Rechtsordnung« wird der oder die Betroffene »zu Tode erklärt«. Mit dieser vagen Formulierung werden die in Europa unterschiedlichsten Regeln zur »Feststellung des Hirntodes« ohne Frage akzeptiert. Der »Tod« scheint weniger konsenspflichtig zu sein als die gesetzlichen Initiativen zur Förderung von Forschung und Transplantation. Die Begründungen des »Hirntodes« bleiben ebenfalls den nationalen Gesetzgebern vorbehalten, den bioethischen Diskussionen werden damit keinerlei Begrenzungen auferlegt. Sollten eines Tages Gesetzgeber verfügen, daß Menschen im »Koma« keine schützenswerten »Personen« mehr sind und nach fachmännischem Urteil der Transplantation zugänglich sein sollen, stünde dies nicht im Widerspruch zum Zusatzprotokoll.
Das deutsche Transplantationsgesetz läßt, trotz kontroverser Debatte, die Entnahmen bei gesunden Spendern auch außerhalb familiärer Bezüge zu. Die Ausweitung des Organhandels wird damit riskiert. Das Zusatzprotokoll bestätigt diese Regelung - und versieht das Vorgehen mit den Weihen eines Völkerrechtsvertrages.
Das deutsche Transplantationsgesetz propagiert die Aufklärung der Bevölkerung - und meint damit Werbung für Organspende. Das Zusatzprotokoll gibt diesem Werben internationale Legitimation und läßt durch einen eigens dafür formulierten Artikel 14 zur »Förderung der Organspende« an offensiver Eindeutigkeit nichts zu wünschen übrig. Eine anerkennende Berücksichtigung derjenigen, die aus moralischen oder religiösen Gründen einer Abgabe ihrer Organe nicht zustimmen, sucht man vergeblich.
Das Postulat der »gerechten Verteilung« ist im deutschen Transplantationsgesetz ebenso zu finden wie im Zusatzprotokoll. Die Verteilungskriterien sind nachweislich seit Jahren uneinheitlich und diffus. National wie international schweigt hier der Gesetzgeber - und überläßt es medizinischen Kommissionen, diese unlösbare Frage zu bearbeiten.
Das Zusatzprotokoll zur Konvention berücksichtigt akribisch alle möglichen, zukünftigen Entwicklungen. Einschränkungen sucht man auch hier vergeblich. Ob Übertragung infektiöser Krankheiten nach einer Kosten-Nutzen-Kalkulation (P. 40, S. 21), Wiederverwendung bereits einmal transplantierter Organe oder Organteile (P. 91-93), Organsplitting oder die »Lebendspende als (u.U.) vorzuziehende therapeutische Lösung« (P. 51), die AutorInnen des Zusatzprotokolls formulieren uneingeschränkt aus der Ermöglichungsperspektive.