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»Hirntod« bzw. »Hirntodkonzept«


13. WP. Ausschuß für Gesundheit. 17. Sitzung am Mittwoch, dem 28.06.1995. 9.30 Uhr. Seite 24f.

Prof.Dr.phil.Dr.rer.nat.G.Roth. Universität Bremen, Fachbereich 2, Institut für Hirnforschung

Auszug aus dem Protokoll der Sitzung. Prof. Roth äußert u.a. seine Kritik zur Hirntoddiagnostik und zieht einen interessanten Vergleich zum Tierschutzgesetz.

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SV Prof. Dr. Roth: "Herr Vorsitzender, meine Damen und Herren, ich möchte im folgenden als Naturwissenschaftler und Hirnforscher argumentieren und alle philosophischen und ethischen Gesichtspunkte unberücksichtigt lassen und zwar nicht, weil ich diese nicht für wichtig halte, im Gegenteil sondern weil den Kritikern des Hirntodkriteriums, zu denen auch ich gehöre, immer vorgehalten wird, sie trügen lediglich geisteswissenschaftlich theologisch eingefärbte Bedenken vor, welche die klinische Fachwelt nicht zu interessieren braucht. Ich will mich hier nur mal kurz mit zwei Aussagen der Befürworter der Gleichsetzung Hirntod gleich Gesamttod auseinandersetzen, von denen schon die Rede war.

Erste Aussage bekanntlich: Der Tod eines Menschen sei dann eingetreten, wenn seine gesamten Hirnfunktionen irreversibel ausgefallen sind. Der gehirntote Patient sei demnach eine Leiche. Diese Aussage ist aus physiologischer Sicht nicht haltbar. Tod ist nicht einfach etwas mystisches oder philosophisches, sondern ist 'wissenschaftlich definiert als das Erlöschen des Stoßwechsels im Körpergewebe. Es gibt, davon war die Rede, sehr wohl die Möglichkeit, daß ein hirntoter Patient im biologischen Sinne lebt nämlich dann, wenn der Ausfall vitaler Hirnfunktionen, das heißt im wesentlichen die Steuerung der Atmung durch Teile des sogenannten niederen Hirnstamms, durch Apparate kompensiert wird und damit der Körperstoffwechsel aufrechterhalten werden kann. Richtig ist zwar, daß der Ausfall dieser vitalen Hirnfunktionen den Tod eines Menschen unweigerlich und relativ schnell nach sich zieht, sofern nicht diese Funktionen durch Apparate übernommen werden. Geschieht dies aber und zeigt der Körper des hirntoten Menschen Atmung, Kreislaufaktivität seiner Organe natürlich mit Ausnahme des Gehirns, dann ist dieser Körper lebendig.

Es widerspricht dem biologischen und physiologischen Verständnis von Leben und erst recht dem alltäglichen Empfinden, wenn ein solcher menschlicher Körper als Leiche bezeichnet wird. Er darf auch dann nicht zur Leiche erklärt werden, wenn Organe dringend benötigt werden, um andere Leben zu retten. Das Gehirn darf nicht als Obersteuerorgan und als ganzmachendes Organ mystifiziert werden, das sage ich ausdrücklich als Hirnforscher. Das Gehirn, speziell der Gehirnstamm ist im Hinblick auf die Aufrechterhaltung des Lebens ein Organ wie andere Organe auch und kann wie diese zumindest teilweise ersetzt werden. Ebenso darf die Tatsache, daß der Hirntod den Gesamttod unweigerlich nach sich zieht, nicht als Besonderheit des Gehirns bewertet werden. Das Versagen der Nieren führt genauso unweigerlich zum Tod eines Menschen wie der Ausfall des Hirnstamms, sofern man nicht ihre Funktion ersetzt hat. Niemand wird aber beim Ausfall der Nierenfunktion von einem toten Menschen sprechen, einer Leiche. Daß das Gehirn Empfindungen und Bewußtsein hervorbringt, die Niere aber nicht, ist in diesem Zusammenhang aber nicht völlig unerheblich. Die Gleichsetzung von Hirntod und Gesamttod des Menschen ist daher abzulehnen.

Lassen Sie mich diese Argumentation durch ein drastisches Beispiel erläutern. Der Eingriff in den lebenden Organismus eines Tieres zu Forschungszwecken unterliegt völlig zu recht strengen gesetzlichen Bestimmungen. Das Tierschutzgesetz faßt dabei das Leben eines Versuchstieres im biologisch physiologischen Sinne auf und es wird überhaupt nicht nach dem jeweiligen Zustand des Gehirns des Versuchstieres gefragt. Selbst Eingriffe am tief narkotisierten Tier, dessen Gehirn unwiderruflich durch die tiefe Narkose geschädigt ist, dessen sonstige Organe aber noch funktionieren, sind ohne behördliche Genehmigung strafbar. Das hirntote Tier ist nach dem Tierschutzgesetz noch am leben, während der hirntote Mensch eine Leiche sein soll. Diese Unterscheidung zwischen Leben eines Tieres und Leben eines Menschen zuungunsten eines Menschen ist nicht nachvollziehbar.

Es wird behauptet, das ist der zweite Punkt, daß der Ausfall der gesamten Hirnfunktion mit den heute angewandten Verfahren mit völliger Sicherheit festgestellt werden könne. Es existiere also ein eindeutiges Gesamthirntodkriterium. Diese Aussage ist falsch. Der Hirntod ist nicht völlig eindeutig diagnostizierbar. Weder Atemstillstand noch Ausfall der tiefer Hirnstammreflexe noch neurophysiologische Registrierverfahren noch Dopplersonographie erfassen mit völliger Sicherheit alle Hirnfunktionen. Dies ist entgegen vieler Verlautbarungen der Fachwelt seit langem bekannt. Das sicherste, was über einen bewußtlosen Patienten, einen Komapatient überhaupt festgestellt werden kann, ist die Vermutung, daß eine irreversible Schädigung des Hirnstammes beziehungsweise des Gesamthirns vorliegt und der Patient nicht mehr zu Bewußtsein kommen wird, gleichgültig ob noch Teile des Gehirns am Leben sind. Wie diese Kriterien lauten können ist Erfahrungs- oder Vereinbarungssache und die bestehenden Diagnosemethoden entsprechend den Bundesärztekammerempfehlungen zum Beispiel Atmungsstillstand, Ausfall der tiefen Hirnstammreflexe reichen dazu wahrscheinlich aus. Völlige Sicherheit kann es aber niemals geben, nur eine mehr oder weniger hohe und akzeptable Wahrscheinlichkeit."

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update: 10.01.2004    by: Roberto Rotondo