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Organempfänger


Schuldgefühle von OrganempfängerInnen

Schuldgefühle kann es schor vor der Transplantation bei den »EmpfängerInnen« geben, wenn ihnen bewußt wird, daß sie auf den Tod eines anderen Menschen hoffen - und tatsächlich jemand für das eigene Weiterleben starb.

Diese Aussage wurde 1999 von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) kritisiert. Folgende Beiträge belegen jedoch diese Aussage:


Siehe auch: Artikel von Anna Bergmann. Tabuverletzungen und Schuldkonflikte in der Transplantationsmedizin.


1. Beispiel: Prof. Dr. med. Hubert Seidel Klinik für Psychotherapie und Psychosomatik der Universität Kiel

„Organtransplantationen ziehen eine Kategorie von Problemen nach sich, über die die Patienten selten von sich aus sprechen, die sie aber sehr beschäftigen. Sie müssen schon vor der Transplantation auf den Tod eines anderen Menschen hoffen und sich gegen die Freude über Katastrophen anderer wehren. Ihr Überlebensinteresse steht somit in denkbar größtem Widerspruch zu ihrem Gewissen, und sie fühlen sich , wenn sie feiner organisiert sind, evtl. schon vor der Operation schuldig. Diese Problematik verschärft sich, wenn sie sich dessen gewahr werden, daß tatsächlich ihretwegen jemand sterben mußte. Das Gefühl, einem unfreiwilligen Spender ein Organ gestohlen, gar, diesen verletzt und getötet zu haben, verfolgt viele."
Prof. Dr. med. Hubert Seidel. Nierentransplantation. In: Jores Praktische Psychosomatik. Einführung in die Psychosomatische und Psychotherapeutische Medizin. 3. vollst. neue Ausg. : Huber 1996, S. 340.

2. Beispiel: Elisabeth Wellendorf (Psychotherapeutin), 1994 Medizinische Hochschule Hannover:

Beim Warten auf ein Organ kommen die Patienten „in eine ganz schwierige Situation [...], daß sie sich den Tod eines anderen Menschen wünschen müssen. [...] Aber ohne den Tod ist das nicht denkbar und ich glaube, daß Wunsch und Wunscherfüllung irgend etwas miteinander zu tun haben und daß es in der Tiefe die Vorstellung gibt, ‘wenn ich mir z.B. bei Glatteis oder Nebel wünsche, jetzt muß doch endlich mal irgendwas passieren, damit jemand stirbt und ich ein Organ bekomme’, daß ist auch sehr schuldhaft besetzt. Und daß, wenn ich jetzt ein Organ bekomme, die Angst da ist, ich habe in irgend einer Form, nicht direkt, aber auf irgend eine Weise, die ich nicht direkt feststellen kann, verursacht, daß da ein Mensch für mich gestorben ist.„
Frage: „Ist denn dieses Wunschdenken, daß jemand verunglückt typisch? Haben das fast alle oder sind das die Ausnahmen?„
Wellendorf: „[...] es bleibt ihnen doch gar nichts anderes übrig. Die Organe kommen ja nicht von irgendwo her. Die kann man ja nicht kaufen, sondern es muß ein Mensch sterben.„
Film: Wer denkt schon an die Seele. Film von Silvia Matthies. N3 Selbst-Hilfe, 29.06.1994.

3. Beispiel: Dr. Wolfgang Albert (Psychotherapeut)1995 Herzzentrum Berlin.

Auszug aus dem Vortrag: Emotional - seelische Folgen der Organtransplantation

„Sehr schwierig ist es für die Patienten, zu antizipieren, daß sie eigentlich auf den Tod eines anderen Patienten warten. Oder, wie das ist mit der Frage des Todes eines anderen, das wurde ja heute schon deutlich. Wobei die Schuldgefühle, die auftauchen insbesondere dadurch entstehen, daß die Patienten unweigerlich ihre Aufmerksamkeit, die sie der Welt schenken, verändern. Das würde zwangsläufig Ihnen allen auch so gehen. Man kann sich dem gar nicht entziehen. D.h., wenn es über mehrere Monate geht, beginnen Sie die Nachrichten, die Informationen, die Sie bekommen, unter dem Gesichtspunkt der Transplantation zu selektieren. D.h., die Patienten berichten unter großen Schuldgefühlen, daß sie die Wetterkarte studieren, das Wetter der nächsten drei Wochen sich vornehmen mit der implizierten Frage natürlich der Eis- und Schneeglätte. Steigt aufgrund irgendeines Feiertages unter Umständen das Risiko von Verkehrsunfällen? Das alles müssen die innerlich mit sich ausmachen. Weil, das zu äußern, ist eine solche Ungeheuerlichkeit, daß es im Grunde gar nicht möglich ist, und das bleibt Innen drin und kostet ungeheure Kraft.„

Tagung: Hirntod - Transplantation;Aspekte, Fragen und Probleme aus pflegerischer Sicht im Landesseminar für Krankenpflege in Kiel am 23.09.1995. Dr. Wolfgang Albert, Deutsches Herzzentrum Berlin, Augustenburgplatz 1, 13353 Berlin,

4. Beispiel: N. Paolini (2 Lebertransplantationen)

Frage: „Haben sie bei sich so eine Art Anspruchshaltung bemerkt, als sie auf die 2. Leber gewartet haben? Mir steht dieses Organ zu, sonst muß ich sterben?„
Paolini: „Ja, ganz eindeutig. Ich habe physisch und psychisch eine sehr schwierige Situation durchgemacht und habe dann darauf gewartet, - und das ist sehr böse im Endeffekt, daß jemand für mich stirbt, von dem ich ein Organ bekomme. [...] Und wenn schon jemand sterben muß, es muß nicht jemand für mich, expressis verbis, für mich sterben, sondern wenn er schon sterben muß, dann möchte ich die Möglichkeit haben aus seinem Tod zu Profitieren.„
Frage: „Haben sie da Schuldgefühle dabei?
Paolini: „[...] Bei der ersten Transplantation hatte ich diese Schuldgefühle, die hatte ich. Sehr lange sogar. Nicht im Vorfeld, weil ich gar keine Zeit hatte darüber nachzudenken, aber nachher.„

Film: Organspende - der umkämpfte Tod. Film von Silvia Matthies. ARD 07.04.1994. Bayerische Rundfunk Redaktion: Hubert Schöne.

5. Beispiel: Laszlo Orosz (Herztransplantation)

L. Orosz zwei Monate vor der Transplantation: „Um ehrlich zu sein, ich sehe mir jeden morgen die Nachrichten an, auch hier(Klinik). Alle alltäglichen politischen Ereignisse. Aber die Momente, wo es um Unfälle geht, die mag ich nicht. Da schalte ich den Fernseher aus. Ich will jetzt einfach nicht wissen, daß Miszka Nortsz auf der Margaretenbrücke eine Karambolage hatte und in Lebensgefahr schwebt. Denn natürlich kommt es mir sofort in den Sinn, daß dieser Miszka derjenige sein kann, dessen - also, ich will mir seinen Tod nicht wünschen, um es mal so auszudrücken.„
L. Orosz vor der Transplantation: „Das ist unsäglich traurig. Es ist ein sehr ungutes Gefühl, wenn man darauf wartet, daß ein anderer Mensch stirbt. Ein schlimmes Gefühl. Das ist vielleicht das Schlimmste daran. Man kommt sich wie eine Hyäne vor, die nur darauf wartet, daß jemand - ich muß es so grob ausdrücken - verreckt, um dann sofort zuschlagen zu können. Wirklich ein sehr unschönes Gefühl.„
L. Orosz direkt vor der Implantation. Die Organentnahme läuft bereits: „Heute habe ich Fern gesehen und das mache ich sonst morgens nie. Es wurde gesagt, daß es Frost gibt und die Straßen glatt werden. Da hatte ich schon eine schlimme Vorahnung, daß da vielleicht irgendwo ein Autofahrer ins Rutschen kommt. Aber gewünscht habe ich es mir nicht gerade.„
Frage: „Du denkst, daß der Organspender einen Unfall hatte?„
L. Orosz: „Ich spüre es. Ja, ich glaube, daß er einen Unfall hatte. Es soll ein junger Mann von etwa 24 Jahren sein. Es ist schwer zu glauben, daß es eines natürlichen Todes gestorben ist. Jetzt gibt es zu 99% kein zurück mehr.„

Film: Das Herz. Klinik für Herzchirurgie an der Semmelweiß - Universität (Ungarn). Arte 26.10.1996

6. Beispiel: Ein Transplantierter

„Ich denke an meinen Spender immer am [...] 17. Mai, da wo ich mein Organ bekommen habe. In dem Punkt denke ich auch an meinen Organspender, weil das war ja praktisch mein Organspender sein Todestag.„

Film: Diagnose Hirntod. Film von Martin Thoma und Erik Trumpp; WDR 3; PAN Film und Erik Trumpp; Redaktion: Gerhard Widmer

7. Beispiel: Prof. Almuth Sellschopp Leiterin des Konsildienstes des Instituts für Psychosomatische Medizin, Psychotherapie und Medizinische Psychologie der TU München

„Die Schuldgefühle sind ein wichtiges Problem, das viele Patienten (Transplantierte Anm. v. R. Rotondo) haben. Das Wissen darum, dass jemand sterben muß, damit man selbst überleben kann, ist eine sehr unangenehme Empfindung. Diese Überlebensschuld ist übrigens auch nach Katastrophen beschrieben worden. Die Menschen, die überlebt hatten, während andere an ihrer Stelle sterben mußten, fragen sich oft hinterher, warum denn sie leben dürfen, aber der andere sterben mußte. [...] Natürlich kann dieses Gefühl der Überlebensschuld bei manchen Patienten auch übergroß werden und so weit führen, dass sie meinen, sie sollten ihrem toten Organspender in den Tod folgen.„

Prof. Sellschopp. In: Jetzt ist´s ein Stück von mir! Alles über Organtransplantationen. Kösel 1997, S. 80f.

8. Beispiel: Herr Baalke (Nierentransplantation)

„Er denkt nach. Dann geht es wie ein Schaudern durch seinen Körper, erkennbar bekommt er auf einmal Schwierigkeiten beim Formulieren. »Wissen Sie, ich muss doch oft daran denken, dass da ein Mensch, vielleicht sogar ein ganz junger, für mich gestorben ist, dass einer sein Leben lassen musste, damit ich weiterleben kann.«

Herr Baalke. »Musste nicht jemand für mich sterben?«
In: Jetzt ist´s ein Stück von mir! Alles über Organtransplantationen. Kösel 1997, S. 123ff.

9. Beispiel: Susan (Herz-Lungen-Transplantation)

Susan sagte: »Ich habe mir die neuen Organe in diesem Jahren vertraut gemacht und auch den Spender. Er ist für mich gestorben, und ich fühle mich an ihn gebunden wie an einen Zwillingsbruder.«

Susan. In: Elisabeth Wellendorf. Mit dem Herzen eines anderen Leben? Die seelischen Folgen der Organtransplantation. Kreuz 1993, S. 136.

10. Beispiel: Auszug aus einem Interview von Marlis Heinz mit Dr. Oliver Decker

Der Dipl.- Psychologe Dr. Oliver Decker ist Mitarbeiter der Klinik und Poliklinik für Psychotherapie und Psychosomatische Medizin der Universität Leipzig und Autor des Buches "Der Prothesengott. Subjektivität und Transplantationsmedizin."

Marlis Heinz: Der Außenstehende geht in der Regel davon aus, eine gelungene Organtransplantation bringt dem Patienten die große Erlösung, Euphorie und Dankbarkeit. Wie zeigen sich psychische Probleme?

Dr. Oliver Decker: Natürlich ist die Transplantation eine Erlösung, eine ungeheurer Rückgewinn von Freiheit. Aber dieses Gefühl ist nicht ununterbrochen und einzig präsent. Der Betroffene wurde ja schon mit der Diagnose aus der Bahn geworfen. Er hat Jahre auf einer Warteliste gelebt und letztlich auf den Tod eines anderen gehofft. Oder war an den unbarmherzigen Rhythmus der Dialyse gebunden. Dort sah er sein Blut immer und immer wieder aus dem Körper hinaus und durch Apparate fließen. Dann die Operation, bei der ein Stück Fleisch eines anderen Menschen in den eigenen Körper eindringt. Bei den meisten bleibt das implantierte Organ, das ja selten direkt an die Stelle des versagenden gesetzt wird, immer irgendwie spürbar. "Das fühlt sich an wie eine Schwangerschaft", sagte mir mal eine Patientin. Das Fremde ist jedoch nicht nur körperlich, sondern auch psychisch ein Fremdkörper. Solch eine Spende anzunehmen, wird ganz anderes empfunden als beispielsweise der Einbau eines künstlichen Hüftgelenks. Es bleiben Schuldgefühle gegenüber dem Spender, im Unbewussten sogar eine Angst vor der Rache des einverleibten Organs. Manche geben ihrem neuen Stück Körper einen speziellen Vornamen, anders als den eigenen. Die Menschen fragmentieren sich dabei selbst und erarbeiten sich wieder die Einheit ihres Körpers. Das ist ein langer, anstrengender Prozess, den möglichst viele in der Umgebung des Patienten verstehen sollten.

Quelle: Universität Leipzig. www.uni-protokolle.de, Beitrag "Leben mit dem Fremden in sich."


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update: 10.01.2004    by: Roberto Rotondo