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Anstatt zu fragen, was wir für die Toten tun können, sollten wir viel eher danach fragen, was die Toten für die Menschheit tun können. Oder vielmehr sollten wir, die Lebenden, dahin gelangen, den Tod oder die Auslöschung der Personalität als eine einzigartige Gelegenheit dazu ansehen, anderen zu helfen. Darüberhinaus [sic!] als eine Gelegenheit, die es uns ermöglicht, anderen eine ungeheure, beinahe unschätzbare Wohltat zu erweisen, ohne daß dies im geringsten zu Lasten einer anderen Person ginge! Allein dieser Faktor reicht aus, um die Gelegenheit jedem, der nicht völlig schäbig und manisch selbstsüchtig ist, zu empfehlen.
Kurz, unsere Konzeption der Achtung der Toten sollte in die Konvention umgewandelt werden, daß wir die besten Aspekte ihres früheren Ich achten und wir es zur Regel machen, daß alle Personen, die sterben oder ihre Personalität verlieren [!], ihren Abschied feierlich begehen, indem sie den übrigen Menschen alles Wertvolle vermachen, das aus ihren Körpern gewonnen werden kann. Dieser Konzeption der Achtung der Toten zufolge wäre es ein Zeichen größter Mißachtung, anzunehmen, jemand könnte so schäbig sein, seinen früheren Mitmenschen die Chance auf ein Weiterleben oder auf ein besseres Leben zu nehmen, die ihnen durch sein Ableben zuteil werden könnte. Jeden, der den Wunsch besäße, sich von dieser Regelung auszunehmen, würde man als extrem schäbig und niederträchtig ansehen, und weise Freunde und Verwandte würden diesen Wunsch des Sterbenden unterdrücken und darauf achten, daß niemand auf den Gedanken käme, der Verstorbene könnte durch eine solch schäbige letzte Handlung Schande über sich und seine Familie gebracht haben.
Auf diese Weise würden wir hinsichtlich der Gewebe- und Organ-Spende von einer Zustimmungslösung zu einer Widerspruchslösung überwechseln. Dabei würde der Gedanke des 'Geschenks' erhalten bleiben, und wir könnten hoffen, das die Praxis aufgrund sozialen Drucks [!] allgemeine Verbreitung fände. Die Vermeidung eines Zwangsmodells besäße möglicherweise den zusätzlichen Reiz, die Organspende als ein Geschenk betrachten zu können, als eine letzte Möglichkeit, eine gute Tat zu tun, und nicht, wie das bei einem Zwangsmodell vielleicht der Fall wäre, als eine Art von Steuer, die mit Bedauern gezahlt wird.
Wir sollten uns allerdings bewußtmachen, was für die gefährdeten Personen auf
dem Spiel steht, wenn sich unter der freiwilligen Widerspruchslösung nicht
genügend postmortale Organspender bereitfinden. Für den Fall, daß alle Stricke
reißen, sollten wir eine Ermächtigung zur Hand haben, um Transplantationen
staatlich anordnen zu können (was wir im sechsten Kapitel ins Auge gefaßt
hatten), wenn dies das einzige Mittel wäre, um die Spenderorgane für die
gefährdeten Personen zu erhalten.«
John Harris 1995: 304 f. »Der Wert des Lebens. Eine Einführung in die
medizinische Ethik.«Berlin, (Orig.1985).