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Organspende & Organspender


Information zur Anhörung der Enquete-Kommission 'Ethik und Recht der modernen Medizin' zum Thema "Organisation der postmortalen Organspende in Deutschland" am 14.03.2005

Hamburg, den 17.03.2005

Einwilligung zur Organspende - Angehörigengespräche finden unter Zeitdruck statt. Zusätzlich werden sie unter moralischen Druck gesetzt.

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Das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) legte sich in einer Informationsbroschüre zum Transplantationsgesetz bezogen auf die Einwilligung durch Angehörige unmissverständlich fest:

"Man muss Verständnis dafür haben, dass manche Angehörige sich damit überfordert sehen und in dieser Situation nicht äußern möchten. Niemand darf unter einen gesetzlichen oder gesellschaftlichen Entscheidungsdruck gestellte werden. Jede Entscheidung ist zu respektieren, auch die Entscheidung Angehöriger, sich in der Phase der Trauer mit der Frage der Organspende nicht zu befassen."

Für Angehörige Verständnis zu haben und ihre Entscheidungen zu respektieren, das klingt gut. Allerdings ließ das BMG offen, wie viel Zeit Angehörige für eine Entscheidung erhalten. Laut Angaben der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) aus dem Jahr 2003 haben in Deutschland in durchschnittlich 94,5 Prozent der Entscheidungen zur Organspende Angehörige die Entscheidung getroffen. In nur 5,5 Prozent der Fälle lag eine schriftliche Erklärung des "Organspenders" vor.

In dem Buch "Der Hirntod als der Tod des Menschen", das von der DSO herausgegeben wird, werden die Probleme und das Vorgehen nach der Hirntodfeststellung wie folgt beschrieben:

"In vielen Fällen wird der Arzt den Angehörigen zunächst nahe bringen müssen, den Hirntod bei noch schlagendem Herzen als endgültigen Tod zu akzeptieren. Ärztlich muss man ihnen erklären, dass es nur wegen der besten, letztlich aber leider erfolglosen Therapie zum Hirntod kommen konnte, dass jede Behandlung über diesen Zeitpunkt hinaus aber unverantwortbar und unärztlich wäre. Die fast immer gestellte Frage, was mit dem beatmeten Leichnam geschieht, kann überleiten zur Frage nach der Organspende, sofern eine solche aus medizinischen Gründen nicht ausscheidet."

Insbesondere wird darauf hingewiesen, dass die Angehörigen "wegen der Entscheidung für oder wider eine Organspende nicht zeitlich unter Druck gesetzt werden" dürfen. Angehörige "sollten in einem angemessenen zeitlichen Rahmen ausreichend Gelegenheit haben, dritte Vertrauenspersonen (z.B. Hausarzt, Seelsorger) miteinzubeziehen."

Im Jahresbericht der DSO 2003 über die Tätigkeiten der einzelnen Transplantationszentren bzw. "Organspenderegionen" veröffentlicht die DSO u.a. den "Zeitlichen Rahmen der Organspende". Gemeint ist die Zeit von der Hirntodfeststellung bis zum Ende der Organentnahme. Dieser Zeitrahmen soll "angemessen" und "ausreichend" sein. Nach Angaben der DSO beinhaltet er:

Normalerweise können Ärzte die Angehörigen über die Diagnose "Hirntod" erst nach endgültiger Hirntod-Feststellung informieren und um eine Organspende bitten, vorausgesetzt, es liegt keine schriftliche Organspendeerklärung vor. Anderenfalls würden sie sich dem Vorwurf aussetzen, dass sie einen schwer kranken Menschen nicht mehr optimal Behandeln und auf eine Organspende aus sind. Falls also die Ärzte korrekt vorgehen, überraschen die extrem kurzen "Prozesszeiten" zwischen Hirntodfeststellung und dem Ende der Organentnahme.

Zieht man die OP-Zeiten und die Zeit für die Organisation der Organentnahme ab, verkürzen sich in allen Fällen die Prozesszeiten um mehrere Stunden. Können diese Zeiten "angemessen" und "ausreichend" für Angehörige sein, um innerhalb dieser Fristen die Informationen und Emotionen, die auf sie einströmen, zu verarbeiten, zu akzeptieren und eine Entscheidung zu treffen?

In dieser Ausnahme- und Schocksituation müssen Angehörige über die Aussichtslosigkeit der Therapie informiert werden. Eine Voraussetzung, um überhaupt alles weitere verstehen und entscheiden zu können. Nachdem Angehörige die Aussichtslosigkeit der Intensivtherapie begriffen haben, müssen sie sich durch die Mediziner innerhalb dieser kurzen Zeitfristen über den "Hirntod" informieren lassen und als weitere Voraussetzung schaffen, dieses Theoriekonzept zu verstehen. Dann müssen sie das Hirntodkonzept mit ihrer Vorstellung über den Tod des Menschen im Allgemeinen, aber insbesondere den Tod des geliebten Menschen, der vor ihnen liegt und lebendig erscheint, abgleichen. Falls sie dazu den Hausarzt oder einen Seelsorger - vielleicht sogar beide oder andere Menschen - kontaktieren müssten, können sie das laut Angaben der DSO tun. Anschließende müssen sie den Tod des geliebten Menschen akzeptieren, obwohl der Tod sinnlich nicht wahrnehmbar ist. Wenn sie dies in der kürze der Zeit geschafft haben, werden sie gezwungen sich mit der Frage nach einer Organentnahme zu befassen. Also damit, dass man den noch lebendig erscheinenden Körper zer- und verteilen wird. Zusätzlich wird ihnen abverlangt, dass sie im Falle einer Zustimmung zu einer Organentnahme keine Sterbebegleitung im üblichen Sinne vollziehen können. Sie müssen sich auf der Intensivstation von einem Menschen verabschieden, der lebendig erscheint und sehen ihn erst nach der Organspende wieder, falls sie dies wünschen.

Die Abgeordneten des Bundestages hatten Jahre lang Zeit dazu, sich eine Meinung über den "Hirntod" zu bilden, bevor sie 1997 das Transplantationsgesetz verabschiedeten. Sie brauchten sich dabei, im Gegensatz zu den Angehörigen möglicher "Organspender", diese Gedanken nicht im Angesicht ihres Ehepartners, Kindes, Verwandten machen, der warm, durchblutet und mit Herzschlag vor ihnen lag. Aber über 90 Prozent der Angehörigen haben nicht einmal einen Tag Zeit dazu, um diese Anpassungsleistung zu vollbringen!

Dennoch behauptet die DSO in ihrem Jahresbericht 2003:

"Die Zeit für das Gespräch mit Angehörigen ist selbstverständlich nicht limitiert."

Die Zeitfenster zwischen Hirntoddiagnostik und dem Ende (!) der Organentnahme sprechen dagegen. Warum dieser Zeitdruck?

Es ist durchaus möglich, "Hirntote" in ihrem Zustand länger als einen Tag zu behandeln. Bei vielen "hirntoten" Patienten soll der Herzstillstand, nach Angaben der DSO, innerhalb von einer Woche nach Eintritt des "Hirntodes" erfolgen. Allerdings gibt es längere Weiterbehandlungszeiten nach Eintritt des "Hirntodes":

Die Intensivtherapie kann nicht in jedem Fall von "Hirntod" so lange hinausgezögert werden und es besteht die Gefahr, dass sie auf Dauer die Organe der "Organspender" schädigt. Allerdings zeigen Fachveröffentlichungen, dass Überlebenszeiten von "Hirntoten" von einer Woche über mehrere Monate bis hin zu einem Jahr und länger, durchaus öfter vorkommen. Solche Studien sind in Deutschland unmöglich durchzuführen. Schon allein aus dem Grund, dass über 90 Prozent aller Organentnahmen innerhalb von 24 Stunden beendet sind. Hirntote bei denen keine Einwilligung zur Organspende vorliegt, werden nicht intensivmedizinisch weiterbehandelt. Ihre Weiterbehandlung wird nicht finanziert, da sie als Tote gelten, die nicht mehr krankenversichert sind.

Da es also durchaus möglich wäre, Hirntote länger als 24 Stunden weiter zu behandeln, ist es nicht nachvollziehbar, weshalb so viel Zeitdruck auf Angehörige ausgeübt wird. Die Aussagen der DSO, dass die Angehörigengespräche zeitlich nicht limitiert werden und der Zeitrahmen für die Gespräche "angemessen" und "ausreichend" sei, haben eher den Charakter von Werbesprüchen. Die in 2003 praktizierten schnellen Prozessabläufe in der Transplantationsmedizin lassen vermuten, dass die Gespräche mit Angehörigen nicht so verlaufen, wie es die DSO oder das BMG vorgeben. Um Angehörige in dieser Situation zu einer Organspende zu bewegen, werden Ärzten, Pflegekräften und Transplantationskoordinatoren in Fortbildungen (DONOR ACTION und/oder European Donor Hospital Education Programm) geschult, die sogar von der Pharmaindustrie gesponsert werden. Dieses speziell geschulte Personal wird immer häufiger eingesetzt und beeinflusst die Entscheidung von Angehörigen durch Kommunikationstechniken.

Eine Methode, um eine Einwilligung zur Organspende zu erhalten, ist das Vorenthalten von Informationen über die unterschiedlichen Ansichten, Denkweisen oder Beurteilungen zum Hirntodkonzept. Schon im Vorwege erhalten Bürger von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA), der DSO oder dem Arbeitskreis Organspende nur einseitige Informationen bzw. Informationsmaterialien. In der konkreten Situation auf der Intensivstation, erhalten Angehörige in der Regel nur einseitige Informationen über den "Hirntod". Die Vielfalt der Ansichten über das Hirntodkonzept können in dieser kurzen Zeit nicht vermittelt werden.

Eine weitere Methode liegt in dem Versuch, Angehörige zu überreden bzw. sie davon zu "überzeugen", dass der "Hirntod" einen Sinn hat:

"Es war so, dass die Ärzte uns im Grunde in einem Atemzug gesagt haben, dass er tot sei, dass sie uns in Kenntnis gesetzt haben vom Ergebnis ihrer Untersuchung und die nächste Frage war, ob wir ihn zur Organspende freigeben könnten. […] man hat es (den "Hirntod", anmerk.: R. Rotondo) nicht [ausführlicher] erklärt. In dem Moment, wo klar war, dass [unsere Sohn] das nicht überlebt, gab es einen sehr starken Rückzug von Seiten der Ärzte", berichtet Tanja Deneke in dem Buch "Der geteilte Leib" (Campus 2000). Nachdem ein Arzt Tanja Deneke mitteilte, dass andere Eltern nicht das Gleiche erleben müssen, wenn sie in die Organentnahme einwilligt, stimmte sie zu.

Ein Satz vermittelt unmissverständlich, dass ein weiterer Mensch sterben muss, wenn man nicht in die Organentnahme einwilligt. Man suggeriert dem Angehörigen, dass dieser Mensch nicht mehr sterben muss, weil er krank ist. Nein, er stirbt, weil Angehörige nicht "richtig" im Sinne des Organempfängers entscheiden. Angehörige werden indirekt für den möglichen Tod eines anderen Menschen verantwortlich gemacht, falls sie die Organspende ablehnen. So werden sie moralisch unter Druck gesetzt, obwohl das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) dieses Vorgehen ablehnt (siehe oben).

Einen anderen "Kunstgriff", um schnell zu einer Zustimmung zur Organentnahme zu kommen, ermöglicht der Begriff "Mutmaßlicher Wille". Das Transplantationsgesetz (TPG) schreibt in § 4 vor, dass der Angehörige "bei seiner Entscheidung einen "mutmaßlichen Willen" des möglichen "Organspenders" zu beachten" hat. In den meisten Fällen kennen die Angehörigen den "mutmaßlichen Willen" nicht. Deshalb werden Angehörige in die "richtige" Richtung geführt, damit sie ihre Meinung sagen und, natürlich "Ja" sagen.

Der Angehörige "hat aufgrund seiner Kenntnis der Gesamtpersönlichkeit und der zu Lebzeiten geäußerten Überzeugung des Verstorbenen sowie anderer wesentlicher Anhaltspunkte" seine Entscheidung zu treffen, so das BMG in der Broschüre "Das Transplantationsgesetz".

Religiösität, Hilfsbereitschaft, der Umgang mit anderen Menschen oder der Beruf können und werden beispielsweise als Hinweise benutzt, um eine Zustimmung zu erhalten.

Was wird ein Angehöriger antworten, wenn er bzw. sie gefragt wird, ob der mögliche "Organspender" ein hilfsbereiter Mensch war? Wer wird in dieser Situation schon sagen, dass er nur an sich und seine Karriere dachte? Andere ausgenutzt hat? Wer wird annehmen, dass Menschen, die in einem Helferberuf arbeiten z.B. Rettungsassistenten, Krankenschwester bzw. -pfleger oder Ärzte nicht gerne helfen, wenn jemand in Not ist? Welcher religiöse Mensch hilft nicht gern anderen? In dieser Situation wird wohl niemand Schlechtes über seinen Angehörigen berichten. Ein "Ja" zur Organspende wird in den Mund gelegt.

Es wird in den Werbebroschüren der BZgA, DSO und anderen Lobbyorganisationen oder im Angehörigengespräch auch nicht berichtet, dass z.B. Pflegekräfte, die in der Transplantationsmedizin arbeiten, nicht selten keinen Organspendeausweis bei sich haben.

Jan Rosenberg, Stationsleiter auf einer Intensivstation berichtet in dem Buch "Herzloser Tod" (Baureithel/Bergmann, Klett-Cotta 1999): "Sie finden keinen hier, der irgendeinen Schein … wie heißt der noch? … Organspendeausweis in der Tasche hätte."

Joachim Conrad hat für ein Forschungsprojekt im Studienfach Pflege mit dem Titel "Pflege hirntoter Patienten" eine Umfrage bei Pflegenden in Krankenhäusern der Maximalversorgung im Rhein-Main-Neckar Raum durchgeführt. Auch er stellte fest, dass viele Pflegekräfte keinen Organspendeausweis haben.

Auch Maria Feuerhack hat im Studiengang Pflegepädagogik 1998 Pflegende befragt, die hirntote betreuten oder im OP arbeiteten und bei Organentnahmen assistierten. Elf der Befragten machten Angaben zum Besitz eines Organspendeausweises. Die Zahl der Ausweisinhaberinnen hatte sich "seit der Arbeit im Intensiv-, Anästhesie- und OP-Bereich von neun auf fünf reduziert."

Im Rahmen meiner Diplomarbeit habe ich Pflegekräfte interviewt, die jahrelang bei Organentnahmen assistiert haben. Keine Pflegekraft hatte einen Organspendeausweis. Keinen Organspendeausweis zu besitzen, war eine bewusste Entscheidung gegen eine Organspende für sich selbst, ohne Organspende generell abzulehnen.

Diese Beispiele zeigen, dass man ohne wirkliche Kenntnis der Einstellung zur "Organspende" einer Person, keine Aussage "Pro" oder "Contra" Organspende treffen kann. Es bleibt nur eine Schlussfolgerung, wenn nicht einmal die Mitarbeit in der Transplantationsmedizin als Hinweis bzw. mutmaßlicher Wille "Pro Organspende" bewertet werden kann. Eine "Organspende" bzw. eine Organentnahme muss abgelehnt werden, wenn man nicht über die Organspende mit dem "Organspender" gesprochen hat. Über den "mutmaßlichen Willen" des Erkrankten zum Thema Organspende kann nichts ausgesagt werden.

Der Zeitrahmen in der Organspende zeigt, dass Angehörigengespräche unter einem enormen Zeitdruck erfolgen. Sie werden nicht im Sinne der "Organspender" oder der Angehörigen sondern ausschließlich im Hinblick auf potentielle Organempfänger geführt. Dafür nimmt man in Kauf, dass Angehörige unter zeitlichen und/oder moralischen Druck gesetzt werden.

Was daraus folgen kann, beschreibt Renate Greinert von der Elterninitiative Kritische Aufklärung über Organspende (KAO) in der Broschüre "Organspende - nie wieder" (emu-Verlag):

"Im Nachhinein breiten sich Angst und Entsetzen aus. Das Schuldgefühl, zu früh aufgegeben zu haben, überwältigt, denn was verlassen wurde, war ein Lebender und kein Toter. Niemand kann die Angehörigen aus diesem Alptraum herausführen, weil keiner leugnen kann, dass sie tatsächlich warme, lebende Körper zurückgelassen haben.

[…]

Was haben wir zugelassen, was fügte man ihnen zu, als sie noch zwischen Leben und Tod schwebten, mit welchem Trauma wurden sie in den Tod geschickt?

Es ist nicht zum Aushalten! Wir finden keinen Weg aus der Schuld."

Was nötig gewesen wäre, bringt Gisela Meyer (KAO) in der Broschüre "Geheimakte Organspende" (Hrsg. KAO) auf den Punkt:

"Ich hätte mein sterbendes Kind unbedingt bis zuletzt begleiten und es nach seinem Tod unbedingt ein letztes Mal in die Arme nehmen müssen."

INFORMATIONSSTELLE
Transplantation und Organspende
Roberto Rotondo
www.transplantation-Information.de


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update: 07.03.2005    by: Roberto Rotondo