Facharbeit
Grenzsituationen im Arbeitsbereich des OP-Pflegepersonals
Die Explantation
St. Bernward Krankenhaus
Zentrale Fort- und Weiterbildungsstätte
Treibestrasse 9
31134 Hildesheim
Facharbeit
Grenzsituationen im Arbeitsbereich des OP-Pflegepersonals
Die Explantation
eingereicht bei
Erstleser : Herr A. Gruber
Zweitleser: Herr F. Schneider
eingereicht von
Cathrin Marschall
Email: CatrinClaudia@aol.com
Abgabedatum: 28.05.2004
Inhaltsverzeichnis
Seite
- 1. Einleitung 1
- 2. Das deutsche Transplantationsgesetz (TPG) und die Einstellung der Pflegeverbände 2
- 3. Der Hirntod und seine Feststellungskriterien 4
- 4. Wann ist der Mensch tot? Verstehen der pflegerischen Sichtweise 5
- 5. Die Explantation - Definition und Fallzahlen 7
- 5.1 Die Explantation - eine Grenzsituation für das OP-Personal 8
- 5.2 Das Erleben der OP-Situation Erfahrungsberichte aus pflegerischer Sicht 13
- 5.3 Gespräche mit OP-Pflegekräften 16
- 6. Schlussfolgerungen und Ausblick 16
- 7. Literaturverzeichnis 18
- 8. Anhang
1. Einleitung
"Und wann ist er dann richtig tot?" "Dass du das so einfach kannst!" "Ist das nicht schlimm für dich?" "Macht dir das gar nichts aus?" "Du bist das ja gewöhnt!" "OP-Personal muss schon ganz schön hart sein!" "Ihr stumpft ja bestimmt ab mit der Zeit!"
NEIN!
Ich kann das nicht "so einfach". Ja, es ist etwas, woran ich mich nie gewöhnen werde, was mich bestimmt nie abstumpfen lässt und wodurch ich auch nicht "hart" werde. Im Gegenteil!
Eine Explantation am hirntoten Patienten, eine Organentnahme, ist und bleibt eine der grössten psychischen Belastungssituationen im Arbeitsbereich des OP-Pflegepersonals. Nach 16jähriger Berufserfahrung, mehreren Teilnahmen an Explantationen und sehr vielen intensiven Gesprächen mit Kollegen und Kolleginnen weiss ich, dass es nicht nur mir so geht, dass nicht nur ich so empfinde sondern ein Grossteil des pflegerischen Personals im OP-Bereich, welches direkt an der Explantation beteiligt ist. Vielen von uns geht es schlecht dabei, viele verfolgt diese Operation noch Tage und Wochen danach.
"Und wann ist er dann richtig tot?" Dieser Satz eines Rettungssanitäters während seines OP-Einsatzes, drückt das gesamte Dilemma der OP-Pflege aus. Wir schleusen einen beatmeten, intensivmedizinisch betreuten Patienten in den OP ein. Einen hirntoten Patienten wie in der Patientenakte zu lesen, von zwei unabhängig voneinander untersuchenden Ärzten festgestellt. Wir kennen den Begriff, wir verstehen seine Bedeutung, theoretisch. Aber was sehen wir? Sein Herz schlägt, er ist warm, er schwitzt, er scheidet aus, auch Bewegungen sind möglich, vielleicht tränen seine Augen. Er ist nicht kalt, hat keine Leichenflecke, ist nicht blass, er sieht lebendig aus. Augenscheinlich liegt vor uns ein Mensch mit einem lebenden Körper, keine Leiche mit leblosen Augen und fehlenden Lebensäusserungen, erstarrt und ruhig.
97% des Körpers eines hirntoten Patienten leben, nur 3%, das Hirn sind tot. (Linke, Prof. D.,B. S.115) Wer sagt uns denn, dass diese 97% keine Schmerzen empfinden, oder Angst?!
Beendet erst die Explantation abrupt das Leben bzw. den begonnenen Sterbeprozess des Hirntoten?
Das Anliegen der vorliegenden Arbeit besteht für mich nicht darin, das Für- und Wider von Explantationen an hirntoten Patienten und Transplantationen zu diskutieren, sondern vielmehr die psychischen Belastungen und das Dilemma vieler OP-Schwestern und Pfleger aufzuzeigen. Ihren Konflikt während einer Explantation, welche oft nicht mehr mit der eigenen Vorstellung von Würde, Respekt und Achtung dem Patienten gegenüber, in Übereinstimmung zu bringen ist. Diese Arbeit soll die, mit Nichts vergleichbaren, Eindrücke während einer Organentnahme darstellen, die Belastungen des Pflegepersonals verdeutlichen sowie Hilfe und Bewältigungsmöglichkeiten aufzeigen.
Ich möchte, dass im OP-Bereich nicht allein auf professionelles Arbeiten Wert gelegt wird, auf OP-Zahlen und Statistiken, sondern auch auf die psychischen, emotionalen Belange des Personals. In Zukunft wird, z.B. durch die Organentnahme auch bei alten Patienten, die Zahl der Explantationen weiter steigen, die Grenzfälle im pflegerischen Arbeitsfeld also zunehmen. (vgl. DSO Jahresbericht 2003) Es ist dringend nötig, sich mit diesen besonderen Anforderungen an das OP-Personal zu befassen.
2. Das deutsche Transplantationsgesetz (TPG) und die Einstellung der Pflegeverbände
Die Entwicklung und das Fortschreiten der Transplantationsmedizin, machten es auch in unserem Lande nötig, das Verfahren der Organentnahmen gesetzlich festzuschreiben. Seit 1968 die von der Harvard- Medical- School erstellten Kriterien zur "Feststellung des irreversiblen Komas" (vgl. Ramm, W.) erstellt wurden, war auch in Deutschland der Hirntod als die Voraussetzung zur Organentnahme weitgehend akzeptiert. Nach jahrelanger Debatte, wurde am 5.11.1997 das Transplantationsgesetz (TPG) verabschiedet und trat am 1.12.1997 mit seinen 26 Paragraphen in Kraft. (vgl. TPG Gesetz, 1997) Es regelt die Spende, Entnahme und Übertragung von Organen, die nach dem Tod oder zu Lebzeiten gespendet werden. (Im Folgenden wird nur Bezug genommen auf die Organspende im Todesfall.)
Der Gesetzgeber sieht hierbei eine erweiterte Zustimmungslösung vor. Der Wille des Verstorbenen, des Hirntoten, zu Lebzeiten hat Vorrang. Dieser muss schriftlich hinterlegt sein. Ist er nicht dokumentiert oder bekannt, entscheiden die nächsten Angehörigen auf der Grundlage des vermuteten Willens. Der Anteil der Organentnahmen ohne schriftliche Einwilligung des Betroffenen, liegt laut der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) seit Jahren bei 95% bis 96%. (DSO Bericht, 2003) Es wurde also zur Regel gemacht, was das TPG als Ausnahme zulässt.
Schon zu den Entwürfen des TPG gab es mehrere kritische Stellungnahmen seitens der Pflegeverbände, welche sich gegen die erweiterte Zustimmungslösung aussprachen und die enge Zustimmungslösung, also den im Vorfeld schriftlich fixierten Willen des Hirntoten, verlangten. (vgl. Rotondo, R. 1995) Im Zentrum des TPG steht die Hirntoddefinition. Für die Pflegenden ist ein Hirntoter ein Sterbender und wird als "Leib-Seele-Geist-Ganzheit und-Einheit" , "der ganze Mensch, die Ganzheitlichkeit" betrachtet (Juchli, L. 1991, S. 26). Sterbende haben das Recht auf eine professionelle Sterbebegleitung, so wie es in der Ausbildung gelehrt wurde und wird. Deshalb sollte jeder Mensch selbst entscheiden können, ob er seinen Sterbeprozess kontrolliert beenden lässt, sich als Organspender zur Verfügung stellt oder nicht und diese oft schwierige Entscheidung nicht den Hinterbliebenen überlassen wird. Der Konflikt der Pflegenden: gibt es einen Unterschied zwischen einer Leiche und einem Hirntoten? und die Einstellung der Pflegeverbände, wurde leider bei der Beschlussfassung zum TPG nicht berücksichtigt, obwohl die Pflege eine der grössten Berufsgruppen in der Explantations-und Transplantationsmedizin ist. (vgl. Rotondo, R., 1998 S. 11)
3. Der Hirntod und seine Feststellungskriterien
Die Diagnose "Hirntod" ist im Transplantationsgesetz als Entnahmekriterium festgelegt und die Mindestvoraussetzung für eine Organentnahme. Bei potentiellen Organspendern muss der Hirntod nach den Richtlinien der Bundesärztekammer festgestellt sein und es dürfen keine medizinischen Kontraindikationen zur Organspende, wie etwa übertragbare Krankheiten oder mangelnde Organfunktionen, bestehen. (vgl. DSO Jahresbericht 2003)
Der Wissenschaftliche Beirat der Bundesärztekammer bestimmte 1991 den "Zustand des irreversiblen Erloschenseins der Gesamtfunktion des Grosshirns, des Kleinhirns und des Hirnstamms bei einer durch kontrollierte Beatmung noch aufrechterhaltenen Herz-Kreislauffunktion" (net lexikon, 14.05.2004) als Hirntod und damit als "Tod des Menschen". Den Tod eines Menschen sicher zu erkennen, obwohl die Körperfunktionen teilweise durch Geräte aufrechterhalten werden könnten, aber keine Gesundung möglich ist, lässt es nun zu, auf die weitere Nutzung der Geräte zu verzichten und eine Explantation zu erwägen.
Bis zur Definition Hirntod, die sich inzwischen fast weltweit durchgesetzt hat, galt in der Medizin die Vorstellung, dass ein Mensch erst dann tot ist, wenn sein Herz und die Atmung irreversibel zum Stillstand gekommen sind.
Die Diagnose muss von zwei, nicht an der Transplantation beteiligten, Ärzten gestellt werden, von denen einer über Erfahrung in der Intensivbehandlung verfügen muss. (vgl. BioskopForum, net, 21.01.2004) Zu den hierzu erforderlichen Untersuchungen gehört die Prüfung der neurologisch-klinischen Zeichen in Zeitabständen von 12, 24 und 72 Stunden. (siehe Anhang, Protokoll zur Feststellung des Hirntodes) Festgestellt werden müssen ein Zustand des Komas, der Ausfall der Spontanatmung, Pupillenstarre, das Fehlen eines Augendruckes und -reflexes, des Tracheal- und Pharingealreflex (Schluck-und Würgereflex) und das Abhandensein einer Reaktion auf Schmerzreize im Versorgungsgebiet des Nervus trigeminus (Gesichtsnerv). Geprüft werden diese Reflexe z.B. durch Stechen mit einer Kanüle in die Nasenscheidewand, kneifen unterhalb der Ohren, pressen der Nagelbetten und Versuch der Auslösung des Würgereflexes mit einer Spatelberührung tief im Rachen. Verkürzt werden kann die Dauer bis zur endgültigen Todesfeststellung durch apparative Zusatzdiagnostik. Dabei kommen zum Einsatz ein über 30 Minuten kontinuierlich abgeleitetes Elektroenzephalogramm (EEG), auf dem eine Nulllinie erkennbar sein muss. Weiterhin eine Angiographie der Gehirngefässe, um den Zirkulationsstillstand des Blutes nachzuweisen. Die letztgenannten Untersuchungsarten sind Zusatzuntersuchungen und nicht zwingend vorgeschrieben.
4. Wann ist der Mensch tot? - Verstehen der pflegerischen Sichtweise
Nun ist der Intensivpatient tot, hirntot, der Todeszeitpunkt auf dem Untersuchungsprotokoll von 2 Ärzten bestätigt. Aber was ändert sich damit für uns, für die Beschäftigten in der Pflege?
Der Zustand des Patienten hat sich rein äusserlich doch nicht verändert? Er liegt, wie seit Stunden oder Tagen beatmet in seinem Intensivbett. Der Urinbeutel ist voll und muss gewechselt werden, der "Tote" schwitzt und wir wischen ihm das Gesicht ab. Im Gegensatz zu einem Toten nach Herz-Kreislauf-Stillstand, sieht der Hirntote lebendig aus. Die Haut ist durchblutet, warm, sein Brustkorb hebt und senkt sich, zwar durch die Beatmungsmaschinen, aber er tut es. Auch ist seine Körpertemperatur konstant, er scheidet aus, das Herz schlägt. Hirntote Frauen können schwanger sein und Kinder austragen, hirntote Männer sind potentiell zeugungsfähig und können Erektionen haben. (Linke, Prof., D., 1993 S. 115) Nach Eintritt des Hirntodes sind die spinalen Reflexe noch voll funktionsfähig. Wird der Kopf des Patienten gehoben, kann eine Bewegung der Arme folgen, auch mimische Reflexe können auftreten. Es kommt sogar vor, dass der Hirntote beim Umlagern im Bett mit den Beinen stösst oder die Pflegekraft in einem Umarmungsreflex an sich drückt. Ein sich bewegender Leichnam? Diese reflexartigen Bewegungen sind medizinisch begründbar und auch das Pflegepersonal hat in seiner Ausbildung darüber Kenntnisse erlangt. Aber das Wissen um diese Dinge ist im Gegensatz zum Sehen und Erleben sehr schwer miteinander vereinbar. Vor uns liegt keine kalte, starre Leiche ohne jede Lebenserscheinung. Unser Toter hat keine Leichenflecke, keine Totenstarre oder verwest gar. Der Tod ist nicht sinnlich erfahrbar, er ist schwer nachzuvollziehen.
Der Hirntod bringt unwiderruflich auch den Zusammenbruch des Herz-Kreislaufsystems mit sich, soweit der Patient nicht beatmet wird und somit diese Funktion aufrechterhalten bleibt.
Hat sich der Patient zu Lebzeiten gegen eine Organentnahme ausgesprochen, oder lehnen die Angehörigen diese ab, würde zum Zeitpunkt der Hirntodfeststellung das Beatmungsgerät abgestellt werden. Der Mensch könnte zu Ende sterben, mit einem Sterbebegleiter an seiner Seite. Denn auch bei eingestellter Beatmung können bis zum endgültigen Herz-Kreislaufversagen noch mehrere Stunden vergehen.
"Jedes Wort, jeder Blick, jede Berührung wird für den Sterbenden wichtig. Selber hoffnungsvoll sein ist Grundvorraussetzung für die Pflege. (...)Dasein und Dableiben und damit auch Körperkontakt, Berühren, Streicheln ist das Wichtigste überhaupt(...). Sterben ist ein Geheimnis "undurchschaubarer Offenheit", d.h., der Sterbende schreitet vom Ahnen zum Wissen, ohne dass die Tiefen enthüllt werden können. Es genügt, dass da Menschen sind, die das Geheimnis schützen und bewahren. (Juchli, L., 1991, S.548)
Anders bei einem Organspender. Hier nun wird der Körper des Patienten, des Toten, noch so lange beatmet, kreislaufstabil und "am Leben" gehalten, bis alle nötigen Typisierungsuntersuchungen durchgeführt wurden, die Empfänger der Organe benachrichtigt und in den Transplantationszentren eingetroffen sind, bis das Explantationsteam bereitsteht, der OP vorbereitet ist und endlich die Organentnahme durchgeführt wird. Der Kreislauf des Hirntoten versagt erst während der Explantation, kontrolliert.
Die Spenderkonditionierung (vgl. Müller, U.,Clavee, H. 1993 S.22), wie die Pflege nun genannt wird, ist eine Pflege, welche rein auf den Organerhalt ausgerichtet ist und sie ist genau so aufwendig wie die Pflege Bewusstloser. (vgl. Rotondo, R. 1995) Hierbei trifft es aber zu, dass "sich die pflegerischen Schwerpunkte grundlegend ändern, weg von der ganzheitlichen Pflege des Patienten hin zu einer reinen Überwachung der Vitalfunktionen...". (Windels-Buhr, D. 1991, S.79)
Der Anspruch der Krankenpflege fordert die ganzheitliche Betrachtung des Menschen (siehe Punkt 2) und somit die Ansicht, dass ein Hirntoter ein Sterbender ist, welcher einer professionellen Sterbebegleitung bedarf. Diesem Anspruch wird die Arbeit der Pflege auf der Intensivstation und auch der OP-Pflege so nicht gerecht.
"Sterben im Sinne von Lebensabschluss mit all seinen seelischen geistigen Vorgängen, über die wir noch zu wenig wissen, in Ruhe, vielleicht im Beisein von anderen Menschen, ist bei ihnen nicht vorgesehen." (Greinert, G.,/Wuttke, R., 1991 S.73)
5. Die Explantation - Definition und Fallzahlen
Eine Explantation ist die operative Entnahme von menschlichen Organen, Organteilen oder Geweben aus dem Körper eines Organspenders zum Zwecke der Transplantation. (vgl. TPG)
Verantwortlich für die bundesweite Koordinierung der Spenden ist die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO).
Laut ihrer Statistik entnahmen Chirurgen im Jahr 2003 in Deutschland 1.140 Hirntoten insgesamt 3.496 Organe, also durchschnittlich 3 pro Person. (vgl. DSO Statistik 2003, siehe Anhang)
Die Ursachen des Hirntodes bei den Organspendern waren 80% internistischer und neurologischer Natur und nur zu 20% Folge einer äusseren Verletzung (vgl. DSO Statistik 2003)
Bei den Organen, die explantiert wurden, handelt es sich um: Nieren, Herz, Leber, Lunge, Pankreas, Dünndarm, Cornea, Knorpelgewebe, Gehörknöchelchen, Knochengewebe, Gelenke, Haut..., an fast jedem Körperteil besteht Bedarf und sehr viele Organe und Organteile sind inzwischen transplantierbar.
Das Alter der meisten Organspender liegt zwischen 16 und 54 Jahren. Bei diesen Spendern werden in der Regel mehrere Organe entnommen. Die DSO zeigt sich aber in ihrer Statistik erfreut darüber, dass der Anteil der Spender über 65 Jahre inzwischen auf ca. 20% gestiegen ist und sieht die Ursachen dafür in einer "zunehmenden Akzeptanz von alten Organen einerseits und einer verbesserten intensivmedizinischen Führung der Spender andererseits". (vgl. DSO Statistik)
Nur etwa die Hälfte aller Krankenhäuser mit Intensivstationen beteiligen sich an der "Gemeinschaftsaufgabe Organspende" und melden potentielle Spender. Als Gründe der ablehnenden Haltung wurden zusätzliche Arbeits- und Zeitbelastungen für die Mitarbeiter angegeben, sowie Unsicherheiten im Umgang mit den Angehörigen des Verstorbenen.
Im Jahre 1998 ging die DSO auf Verbesserungsvorschläge einiger Krankenhäuser ein und nahm "Gespräche mit Transplantationsmedizinern zum Abbau der psychischen Belastung nach der Organentnahme" in ihr Krankenhausbetreuungsprogramm auf. (vgl. DSO Statistik) Gespräche mit Transplantationsmedizinern und nicht etwa mit dem beteiligten Pflegepersonal! 6 Jahre später, 2004, fand allerdings schon eine Veranstaltung für die OP-Pflege statt: "Perioperatives Management und Besonderheiten der Instrumentierung bei dem Organspender" (vgl. DSO Statistik 2003). Die psychischen Belange des OP-Personals werden hier nicht erwähnt.
5.1 Die Explantation - Eine Grenzsituation für das OP-Personal
Die technischen Vorbereitungen im Operationssaal für eine Explantation unterscheiden sich in Nichts mit den Vorbereitungen für eine andere grosse Bauch- bzw Thoraxoperation. Die Instrumente werden gerichtet, die medizintechnischen Geräte überprüft, Einmalmaterialien bereitgestellt, die auszufüllenden Papiere bereitgelegt, der PC angeschaltet. Der Operationstisch wird mit Armauslagerungsschienen versehen und in die Patientenschleuse geschoben. Das Anästhesiepersonal überprüft das Narkosegerät, zieht Medikamente auf und wartet auf die Ankunft des Patienten.
Es ist Alles vertraut und doch ist Alles anders. Die Stimmung ist anders, die Atmosphäre im Operationssaal. Niemand lacht oder macht Scherze, es ist sehr ruhig, jeder geht ohne Worte seiner Arbeit nach, in Gedanken schon bei der nun folgenden Organentnahme, bei dem Patienten. Das OP- Personal ist in sich gekehrt und sammelt Kraft für die physischen und psychischen Anstrengungen der nächsten 5 bis 6 Stunden Operationszeit und Nachsorge. Wie wird der Patient aussehen? Werden die Angehörigen vor der OP- Tür stehen? Wann kommt das Explantationsteam? Wann geht es los?
Innerlich ist das Peronal nicht mit der Frage beschäftigt, ob das Instrumentieren bei einem unbekannten Operateur reibungslos funktioniert, sondern mit der Gewissheit, gleich einen Patienten entgegenzunehmen, welcher sich äusserlich in Nichts von einem "normalen Intensivpatienten" unterscheidet und ihn später, wenn "alles fertig ist" und er hohl und leer, kalt, blass und im Gesicht verzerrt, kaum wiederzuerkennen, vor uns liegt, als Leiche zu versorgen und in den Kühlraum zu fahren. Dabei wieder genau so alleine wie jetzt während der Vorbereitungen, denn die verschiedenen Explantationsteams sind dann schon mit den Organen in Richtung Empfänger unterwegs und die Kollegen der Anästhesie konnten direkt nach der Entnahme des Herzens abtreten.
Die Einzigen, die vom Beginn bis zum Ende einer Explantation im OP stehen sind die OP -Schwestern und- Pfleger.
Gehören zu den festen Entnahmeteams, von der DSO bereitgestellt, nur Ärzte? Wo sind die speziell ausgebildeten und psychologisch geschulten OP-Schwestern?
Die Stimmung schlägt erst um, wenn die Explantationsteams eintreffen und der Patient eingeschleusst wird. Hektik bricht aus und der OP-Saal wird voll. Bis zu 20 Personen drängen sich um den nackt auf dem OP-Tisch liegenden Patienten. Ist es möglich in diesem Moment die Würde des Hirntoten zu wahren? Wohl kaum. Ein Tuch, schnell vom Springer über den Körper gelegt, wird vom Operateur wieder heruntergezogen, um das Sternum des Patienten noch einmal zu betrachten, bevor es - das Tuch achtlos liegenlassend - zur Händedesinfektion in den Waschraum geht.
Jetzt bleibt nicht mehr viel Zeit zum Nachdenken. Springer und Instrumentierender sind gefordert.
Wohin mit den ganzen Instrumenten, Beuteln mit Perfusionslösung, Instrumententischen, Behältnissen für den Organtransport? Mit den vielen Mobiltelefonen die, obwohl im OP verboten, von den Operateuren an jeder freien Stelle des Saales deponiert werden und wechselseitig während der OP vom Springer an die Ohren der jeweils Angerufenen gehalten werden müssen? Ja, das Team im Transplantationszentrum möchte wissen, wann die Niere endlich kommt. Aber hier liegt ein Sterbender, ein Hirntoter, der unseren Respekt, unsere Achtung und unsere volle Aufmerksamkeit verdient hat!
Die OP beginnt und ein riesiger Schnitt vom Jugulum bis zur Symphyse öffnet den Körper. Das Sternum wird aufgesägt, Thorax und Abdomen mit Sperrern weit auseinandergespreizt. Jetzt ist es keine "normale Operation" mehr. "Der Vergleich zum Ausweiden drängt sich auf." (Pache, V.,1993) So geöffnet, uns seine gesamten Organe darbietend, liegt nie ein Patient vor uns.
"Nun liegt er da, mit einer riesigen Wundhöhle (...). Nie würden sie einen Lebenden so verletzen! Das ist es: diese riesige Wunde, diese unermesslich grosse Verletzung, die dies so schrecklich sein lässt." (Grosser, M., 1991 S. 63)
Hinter dem Tuch, oben am Kopf wird es unruhig, Blutdruck-und Herzfrequenzanstieg beim Patienten. Er ist hirntod, er sollte keine Schmerzäusserungen zeigen, er darf keine Schmerzen haben! Oder doch? Wer kann das 100%ig sagen? Waren wir schon tot und haben das Sterben erlebt?
Wir müssen der Medizin, der Forschung und der Medizintechnik glauben. Und die Erkenntnisse in den Bereichen entwickeln sich immer weiter. Heute Neues ist, ist in einigen Jahren veraltet. Was ist, wenn wir dann feststellen, dass unsere heutigen Hirntoten Schmerzen empfunden haben müssen, am Leben waren? Der Gedanke macht Angst! Und er beschäftigt viele OP-Schwestern und Pfleger.
Der Patient wird während der Explantation beatmet, seine Herz-Kreislauffunktionen werden überwacht und eventuell stabilisiert und er bekommt muskelrelaxierende Medikamente verabreicht um durch die natürliche Abwehrspannung der Muskulatur, die Organentnahme nicht zu behindern bzw. zu erschweren. Schlafmittel, Schmerzmittel sind nicht nötig, denn der Patient spürt ja nichts, gemessen am heutigen Stand der Technik.
Mindestens die Hälfte der Anästhesisten spritzt, nach eigenen Erfahrungen, trotzdem ein Schmerzmittel, führt eine vollständige Narkose durch, aus Unsicherheit darüber, ob der vor ihm liegende Mensch nicht doch Schmerzen empfinden könnte und um sich persönlich sicherer zu fühlen.
"Die Hautlappen werden so gehalten, dass eine´ Wanne´ entsteht, die mit bis zu 15 Liter eiskaltem Wasser gefüllt wird. Die Organe werden mit eiskalter Perfusionslösung durchspült, das Blut wird abgesaugt. Erst wenn das Herz mit Kühlflüssigkeit durchspült wird, tritt der Herzstillstand ein." (Striebel, H.-W., Link, Prof.,J.,1991 S. 81)
Das ist der Moment, in dem es beunruhigend still wird im Saal. Etwas fehlt: das regelmässige Piepen des EKG´s, die Geräusche der Überwachungsgeräte, der permanente Ton des Beatmungsgerätes.
"Und wann ist er dann richtig tot?" Jetzt!
Bei jeder anderen Operation würde nun der Kampf um das Leben des Patienten beginnen. Hektisch würde das Anästhesieteam Medikamente verabreichen, die sterile Abdeckung runterreissen um an den Thorax des Patienten zu gelangen, um zu defibrilieren, zu reanimieren.
Aber hier herrscht nur Stille. Stille und die wie unbeteiligt wirkenden Anweisungen der Operateure, als würden sie gar nicht merken, nicht spüren, dass hier grad ein Mensch endgültig sein Leben verloren hat.
Viele Pflegekräfte müssen während der Organentnahme, spätestens im Moment des Abschaltens des Narkosegerätes, die Tränen unterdrücken. (vgl. Grosser, M. 1991 S. 63) Dieses Gefühl der Endgültigkeit, des Unumkehrbaren breitet sich aus. In dem Körper vor uns schlug noch vor 5 Minuten ein Herz, von allein, selbständig. Eine belüftete Lunge blähte sich rosig vor unseren Augen. Und nun? Nun liegt Beides auf dem Beistelltisch und wird grade von einem Arzt in Plastiktüten verpackt.
Ein schneller Blick in die Augen des Kollegen lässt ahnen, dass es auch ihm nicht gut geht in diesem Moment, dass auch er "nurmehr in die Arme genommen werden" möchte. (Dorner, R., 1995 S.381)
Zu hoffen ist, dass derartige Gefühle nicht bei allen OP-Schwestern und Pflegern vorkommen, aber auszuschliessen ist es nicht.
Ein Teil des beteiligten Pflegepersonals stellt sich die Frage, ob "es ethisch richtig ist, derart manipulierend in den Sterbeprozess einzugreifen". (Jetschmann, D., 1991 S.89) Haben wir geholfen bei einem kontrollierten Zu-Ende-Sterben?
Die Organe sind entnommen. Der Körper des Spenders ist leer, liegt seltsam eingefallen auf dem Operationstisch. Hinter dem Tuch, auf der Anästhesieseite, ist niemand mehr. Der Tubus wurde entfernt, die Braunülen gezogen, der Arbeitsplatz aufgeräumt.
Ein Assistenzarzt verschliesst die Wunde. Die anderen Ärzte des Explantationsteams sind schon vom OP-Tisch abgetreten, bereiten die Organe für den Transport vor, füllen Dokumente aus, erledigen die letzten Formalitäten, telefonieren mit der Klinik, in welcher der Empfänger schon für die Transplantation vorbereitet wird.
Nach einem kurzen Dank für die Hilfe und einem "bis zum nächsten Mal", ist das OP-Personal wieder alleine. Alleine mit einer Unzahl zu entsorgender Instrumente. Alleine mit einem Berg von Müll. Alleine mit einer Leiche, die nun auch wirklich so aussieht. Allein mit seinen Gedanken und Gefühlen.
"Wer glaubt, nun sei es vorbei, der irrt. Ich werde nach Hause gehen, mich schlafen legen, und dann werde ich im Traum noch einmal das Ganze erleben. Ich werde diesen Toten sehen, der erst sein eigenes, dann das Gesicht eines mir nahestehenden Menschen und schliesslich mein Gesicht tragen wird. Alles verdrängte, Verschluckte, ein Hexenkessel voller Gefühle wird aufbrechen. Sie werden ihr grausames Spiel mit mir treiben - ungehindert, ungebremst, sich austoben bis zum Exzess. Erst danach wird diese Entnahme für mich vorbei sein." (Grosser, M., 1991, S. 70)
5.2 Das Erleben der OP-Situation - Erfahrungsberichte aus pflegerischer Sicht
Diese Art des Erlebens einer Explantation, drückt sich in vielen Erfahrungsberichten aus. Einige sind schon vor Jahren erfasst und publiziert wurden, Andere sind neueren Datums. Erkennbar ist, dass sich an der Problematik nichts geändert hat. Fortwährend löst die Teilnahme an einer Organentnahme bei den Mitarbeitern der OP -Pflege, die Eingangs schon dargestellten inneren Konflikte aus.
Die von Roberto Rotondo (1996) im Rahmen seiner Diplomarbeit durchgeführten Interviews mit OP-Pflegekräften, zeigen ein deutliches Beispiel.:
"Also, dass das da jetzt, dass du jetzt hier plötzlich aus, aus´nem Spendepatienten ´ne Leiche also...jetzt irgendwie wirklich ´nen Toter wird, ehm. Das wird eigentlich erst dann offensichtlich, wenn, wenn´s ruhiger wird irgendwie (...)und dann wirklich nunmehr ne Leiche auf´n Tisch..." (Rotondo, R., 1996)
Eindrucksvoll ist auch das oft auftretende Empfinden des Stimmungsumschwunges im OP-Saal während der Explantation.
"...das ist ein Theaterstück mit fatalem Ausgang, dies, (...). Das ist wirklich - zack!"
"Immer Schweigen...Also vorher konnte noch so eine tolle Stimmung gewesen sein (...) wie es halt im Leben, im Beruf ist, an einem Arbeitsplatz und ist - Schweigen."
"Das ist einfach so, (...) diese, diese Körperhaltung, die Physiognomie eines Toten einfach so, dass, ich glaub´ der letzte Haudegen verstummt." (Rotondo, R., 1996)
Die Versorgung des Leichnams im OP, ist für die Mitarbeiter mit weiteren nicht alltäglichen Aufgaben verbunden.
"Die Hornhäute sind halt entnommen, also das Auge ist entnommen. Irgend´ nen Glasauge ist meist drin, alles verschwollen."
"Ja, meist gehen die Augen dann nicht so richtig zu."
"Klebt man dann meist irgendwie mit...Kompressen zu. (...) Das bastelt man da halt rum, um das irgendwie halbwegs, ja an...ansehbar oder für sich vertretbar...hinzukriegen, den Leichnam."
"Schlimm wird´s dann, wenn, wenn du direkt mitkriegst, dass es eigentlich nur um die Organe wieder mal gegangen ist und nicht...Und jetzt der Spender, ja...Müll ist." (Rotondo, R.,1996)
Für die Pflegekräfte in vielen Operationseinheiten gehören Organentnahmen zum Alltag und auch nach der beendeten Explantation, nach der Versorgung des Leichnam und der Nachsorge des OP-Saales, ist es für manche von ihnen schwer möglich, dass Erlebte zu vergessen.
"Ich habe davon geträumt, dass die Patienten noch gar nicht tot sind. (...)dass der Patient dann wieder, sich hingesetzt hat auf...auf den OP-Tisch und uns allen die Zunge rausgestreckt hat. (...) Also das war...irre. Also da habe ich gedacht (...) ob das so richtig ist das Ganze. (...) wenn man...denn nachher schon Alpträume hat." (Rotondo, R., 1996)
Eine Pflegekraft aus Süddeutschland war so überwältigt von dem Erlebnis ihrer ersten Multiorganexplantation, dass sie dieses, aus Gründen der Aufarbeitung des Erfahrenen, niederschrieb und veröffentlichte.
Auch sie musste während der Operation mit ihren Gefühlen kämpfen und war teilweise geschockt über das Vorgehen und den Anblick, der sich ihr bot. (anonym, Name nach Einverst. der Autorin, über die Verfasserin dieser Arbeit zu erfahren)
"Die Sternumsäge hat das gesamte Brustbein in zwei Teile durchtrennt, der Bauch wurde median eröffnet (...) vom Manubrium bis zur Symphyse geht der Schnitt. Ich habe ständig das Bild der aufgeschnittenen Schweineleiber in einem Schlachthof vor meinem inneren Auge, es sieht dem hier so verdammt ähnlich!"
"Die Stimmung ist kühl als die coolen, routinierten Explantationsteams zusammen operieren. Von unseren Chirurgen ist keiner mehr da (...) es ist ja auch nicht genug Platz an der Hirntoten, nicht wahr?" (anonym,2000)
Hier bestätigt sich noch einmal der im Vorfeld erwähnte Eindruck, eines völlig mit Personen überfüllten Operationssaales, welche sich um den Patienten drängen.
Auch die kühle, abweisende Stimmung, die so im Gegensatz zu den Gefühlen des Pflegepersonals steht, wird von ihr verdeutlicht.
"Mir fehlt der Ausdruck von Dankbarkeit gegenüber der Patientin, des Respektes gegenüber ihrer Entscheidung, das Deutlichmachen der Erkenntnis, dass hier etwas geschieht, das auf keinen Fall als selbstverständlich genommen werden darf (...). (anonym, 2000)
Ist dies der Unterschied zwischen den explantierenden Chirurgen und den beteiligten Pflegepersonen? Haben sich die Ärzte eine grössere innere Distanz geschaffen oder wirken sich auf diese Art und Weise die Schulungen der DSO für die Transplantationsmediziner aus?
"Die Geräusche, die sonst vom Beatmungsgerät her zu hören sind, das Piepen und regelmässige Schnaufen, das vom Leben zeugt (...) , plötzlich alles aus. Stille. Der Anästhesist spricht es aus: Die Hirntote Patientin ist endgültig verstorben. (...) Ich drehe mich um, ich verliere sonst die Fasson." (anonym, 2000)
Und wieder dieser Bruch in der Stimmung, wieder diese Stille. Die meisten OP-Schwestern und Pfleger bemerkten genau diesen Moment der eintretenden Stille, der Moment des Ausschaltens des Narkosegerätes, am intensivsten.
Besonders deutlich hebt diese Kollegin auch das Gefühl des Alleingelassenwerdens nach erfolgter Operation hervor, dann wenn alle gegangen sind und zum Organempfänger eilen und vertieft damit noch einmal den Eindruck der Hilflosigkeit.
" (...) - und weg sind sie. Stille. Schweigen. Wir stehen in einem unendlichen Chaos, Instrumente, Tische, Schüsseln - und im Spotlicht der OP-Leuchte: die Leiche. Wir müssen dieses gruselige Durcheinander aufräumen. Allein."
"Wir (...) offenbaren uns unsere verletzte Menschlichkeit, versuchen, emotional das Trauma der letzten Stunden zu bewältigen."
Und auch sie stellt die Frage: "Müssen wir, die Helfer, wirklich durch alles einfach durch, uns ins kalte Wasser werfen lassen im Namen des Helfens, weil es eben dazugehört? Wo sind die angeblich festen Teams, die zu solchen Operationen kommen, um sie vorzunehmen? Zählen zu den Teams nur Ärzte, Pflegepersonen nicht inbegriffen?" (anonym, 2000)
5.3 Gespräche mit OP-Pflegekräften
Die Inhalte der bis hier verdeutlichten Aussagen und Zitate, bestätigen und konkretisieren sich noch einmal, in von mir selbst, mit Kollegen geführten Gesprächen.
Aussagen wie "bei diesem Ausweiden kann ich nicht zusehen", "dabei wird mir schlecht", "das ist ja hinterher nur noch eine leere Hülle", "das vergesse ich nie in meinem Leben", "da mache ich nicht mit, die sollen sich ihre OP-Schwestern selber mitbringen" lassen die Dramatik des Erlebten noch einmal erkennen und veranschaulichen eindrücklich, dass eine Organentnahme etwas Belastendes darstellt und nicht mit anderen OP´s vergleichbar ist.
Nicht alle Pflegekräfte haben Probleme oder ethische Bedenken, an einer Explantation teilzunehmen. Aber ein Grossteil äusserte ein "mulmiges Gefühl".
Einige dieser Mitarbeiter verfolgten die Eindrücke einer Explantation so stark, dass sie über Wochen Alpträume hatten und sie sich inzwischen gegen eine nochmalige Teilnahme an einer Organentnahme aussprachen.
Ist es da verwunderlich, dass von 20 von mir befragten Mitarbeitern der OP-Pflege nur 2 einen Organspendeausweis besitzen, sich 7 unschlüssig zum Thema äusserten und 11 eine potentielle Organspende kategorisch ablehnten?
6. Schlussfolgerungen und Ausblick
Die bisher zitierten Aussagen und Erfahrungsberichte stammen ausschliesslich von examiniertem Pflegepersonal sowie ausgebildeten OP-Fachkräften.
Von Personen, die den Umgang mit Sterbenden, mit Toten, mit Hirntoten schon in ihrer Ausbildung theoretisch und praktisch gelernt haben.
Und trotzdem kommt zum Ausdruck, dass die Explantation am hirntoten Patienten eine tiefgreifende Erfahrung ist und eine Grenzsituation im Arbeitsalltag.
Ich habe festgestellt, dass fast alle OP-Pflegenden darunter leiden und sich nicht sicher im Umgang mit einem Hirntoten sind.
Keiner der Schwestern und Pfleger möchte die Hirntoddefinition in Frage stellen oder die Transplantationschirurgie verdammen.
Aber wir möchten gehört werden. Wir möchten darauf aufmerksam machen, dass mit der Beteiligung an Explantationen unser eigenes Berufsverständnis ins Wanken gerät. Wir möchten aufzeigen, dass Viele von uns mit ihrer Rolle während einer Organentnahme Probleme haben.
Regelmässige fachliche Fort- und Weiterbildungen zum Thema und auch psychologische Schulungen, wie sie den Ärzten von der DSO angeboten werden, sind dringend nötig.
Auch Begegnungen mit Organtransplantierten und Erfahrungsberichte von ihnen, würden uns den Sinn unserer Tätigkeit augenscheinlicher werden lassen. Schon jetzt wird es von den Mitarbeitern als sehr positiv empfunden, nach der Assistenz bei einer Explantation einen Bericht bzw. Dankesbrief von der DSO zu erhalten, in welchem Auskunft gegeben wird über den Verbleib der entnommenen Organe. Hierin wird anonym eine Kurzanamnese des Empfängers angegeben und sein Zustand nach der Transplantation.
Als Wichtigstes sehe ich jedoch Teamgespräche, in denen jeder seine Ängste und Probleme äussern kann.
Letztendlich muss es aber auch möglich sein, dass OP-Personal aus psychischen, ethischen, theologischen oder lebensanschaulichen Gründen, die Mitarbeit an einer Organentnahme ablehnen kann und nicht mit daraus eventuell resultierenden arbeitsrechtlichen oder disziplinarischen Massnahmen konfrontiert wird. Eine engagierte OP-Leitung und ein gut funktionierendes Team, sind in der Lage, dies organisatorisch aufzufangen.
Diese Arbeit hatte den Anspruch, exemplarisch zu zeigen, wie stark die Berufsgruppe der OP-Pflegenden in die Explantationschirurgie involviert ist und mit welchen speziellen Problemen sie dabei konfrontiert wird.
Konfrontiert mit einem ethisch hochsensiblen Thema, welches nicht nur rational angegangen werden kann.
7. Literaturverzeichnis
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Kritik am Hirntodkonzept
Unter: http.//www.bioskop-forum.de (21.04.2004)
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In: Ich pflege Tote. Die andere Seite der Transplantationsmedizin
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Krankenpflege. Praxis und Theorie der Gesundheitsförderung und der Pflege Kranker
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Organtransplantation. Fluch oder Segen?
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Rotondo,R. (1995)
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Roberto, R. (1995)
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Ausschusssache 13/161 Bonn
Unter: http://www.transplantation-information.de (14.04.2004)
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Ich pflege Tote. Die andere Seite der Transplantationsmedizin
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Transplantationsgesetz
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Windels- Buhr, D. (1991)
Organspende und Krankenpflege. Ein Widerspruch?
In: Greinert, R. und Wuttke, M. (Hrsg.)
Organspende. Kritische Ansichten zur Transplantationsmedizin
Lamuv-Verlag Göttingen
© Cathrin Marschall
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