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Veröffentlichung zur Organspende und Transplantation


Ermöglichung des Unmöglichen

Neue Transplantationsrichtlinien sollen plausibel machen, dass Körperstücke gerecht verteilt werden

Roberto Rotondo (Hamburg), Psychologe und Krankenpfleger

Juni 2000



Körperteile von Menschen können nicht "gerecht" verteilt werden. Daran werden auch neue Richtlinien der Bundesärztekammer nichts ändern, die voraussichtlich im Sommer 2000 in Kraft treten werden.

Nach langen, internen Beratungen hat die Bundesärztekammer (BÄK) acht Richtlinien zur Organtransplantation verkündet und veröffentlicht. Die neuen Regeln sollen ermöglichen, was angesichts des immer wieder behaupteten "Mangels an Organen" praktisch unmöglich ist: dass Nieren, Lebern, Herzen, Lungen und Bauchspeicheldrüsen "hirntoter" Menschen künftig "gerecht" verteilt werden – und zwar zwecks Transplantation auf PatientInnen, die nach den BÄK-Kriterien berechtigt sind, auf die offiziellen Organ-Wartelisten aufgenommen zu werden.

In Kraft treten können die Richtlinien, sobald das Bundesgesundheitsministerium (BMG) die Verträge zur Zusammenarbeit bei der Organentnahme genehmigt hat, die Krankenkassen, Krankenhausträger und BÄK mit der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) und der Vermittlungstelle Eurotransplant geschlossen haben. Die Verträge liegen schon im Ministerium, die Genehmigung wird noch vor der politischen Sommerpause erwartet.

An der Ausarbeitung der Richtlinien waren nach Darstellung der BÄK "auch Patientenvertreter und Angehörige von Organspendern beteiligt". Dass die Runde der Auserwählten offenbar nicht sehr groß war, zeigt beispielhaft eine Beschwerde der Deutschen AIDS-Hilfe. "Ich finde es ungeheuerlich", schrieb Bundesgeschäftsführer Stefan Etgeton an BÄK-Präsident Jörg-Dietrich Hoppe, "dass sich die Bundesärztekammer öffentlich der Beteiligung von PatientInnen rühmt und diese Behauptung zur Legitimation ihrer Position benutzt, de facto aber die betroffenen Organisationen nicht einmal gehört werden."

Hintergrund des Protestbriefes ist eine gezielte Ausgrenzung: Die Regeln zur Aufnahme auf die Wartelisten schließen AIDS-Kranke von vornherein von einer Organtransplantation aus, schon eine HIV-Infektion gilt der BÄK als "Kontraindikation". Das findet Etgeton "aus ethischen wie aus fachlichen Gründen fragwürdig"; die BÄK dagegen behauptet, HIV-Infektionen würden den Transplantationserfolg "kurz- oder längerfristig gefährden", dies sei Stand der medizinischen Wissenschaft.

HIV-PatientInnen sind nicht die einzigen, denen Transplantationen grundsätzlich verweigert werden. Als "Kontraindikationen" gelten nach den BÄK-Richtlinien auch klinisch manifeste Infektionserkrankungen, schwerwiegende Erkrankungen anderer Organe, fortgeschrittene irreversible Nieren- und Leberinsuffizienz, bestehender schwerer Missbrauch von Nikotin, Alkohol und sonstigen Drogen sowie unzureichende "Compliance", womit wohl gemeint ist, wie zuverlässig ein Patient ärztlichen Vorgaben folgt.

Allerdings hat sich die BÄK eine Klausel ausgedacht, die den "Fortschritt der Transplantationsmedizin fördern" soll: Im Rahmen eines Heilversuches oder einer klinischen Studie können auch die sonst von Transplantationen ausgeschlossenen PatientInnen mit "Kontrainindikationen" mitwirken und ein fremdes Körperteil übertragen bekommen – als Versuchspersonen für die Wissenschaft sind also auch Menschen mit HIV willkommen, vorausgesetzt, eine Ethik-Kommission ist damit einverstanden.

Charakterisches Merkmal der Richtlinien ist, dass sie durchweg schwammig formuliert und deshalb individuell ausdeutbar sind. Nur ein paar Beispiele: Neben medizinischen Kriterien soll bei der Aufnahme in die Warteliste die "individuelle Gesamtsituation" des Patienten und die "längerfristigen Erfolgsaussichten" berücksichtigt werden. Erfolg wird als "Überleben des Empfängers, die längerfristig gesicherte Transplantatfunktion sowie die verbesserte Lebensqualität" definiert. Wie diese Kriterien realistisch abgeschätzt und fair verglichen werden können, bleibt unklar.

Viele, die auf ein fremdes Körperteil und damit auf den "Hirntod" eines anderen Menschen warten, werden vergeblich warten.

Die Richtlinien wollen glauben machen, dass die Kriterien zur Aufnahme in die Warteliste und zur Verteilung der Organe rein medizinisch seien. Aber neben dem körperlichen Gesamtzustand sollen auch der "seelische Gesamtzustand des Patienten gewürdigt und eingeschätzt" werden. Als Kontraindikation zur Herztransplantation werden neben zusätzlichen Erkrankungen, "psycho-soziale Faktoren" erwähnt, die ein "vitales Risiko" bei der Transplantation darstellen oder den "längerfristigen Transplantationserfolg mindern".

Zu berücksichtigen sind auch "eventuell zu erwartende schwerwiegende operativ-technische Probleme". Die Aufnahme in die Warteliste hängt entscheidend von Einschätzungen oder Beurteilungen der Transplanteure ab, als Maßstab gelten ihre Vorstellungen von "individueller medizinischer Gesamtsituation", "individueller Gesamtsituation", "seelischem Gesamtzustand", "psycho-sozialen Faktoren" oder "unzureichender Compliance". Alle diese Begriffe sind individuell interpretierbar; wer will, kann sie missbrauchen, um bestimmte PatientInnen auszugrenzen.

Die Richtlinien zur Organ-Allokation (Vermittlung) sind ebenfalls unklar formuliert, was bei den schwammigen Vorgaben des Transplantationsgesetzes (TPG) allerdings auch nicht anders zu erwarten war. Das TPG verlangt, dass Organe nach "dem Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft", "insbesondere nach Erfolgsaussicht und Dringlichkeit für geeignete Patienten" verteilt werden sollen. Dass sich dies widersprechen kann, darauf haben Sachverständige schon im Rahmen der Gesetzesberatungen hingewiesen. Denn in der Regel gilt die "Erfolgsaussicht" einer Transplantation als größer, je besser es einem Patienten geht. Ist dagegen die Dringlichkeit hoch, sind die Erfolgsaussichten eher niedrig.

Für die Vermittlung der Organe wird die Stiftung Eurotransplant im niederländischen Leiden zuständig sein. Jedes Mal, wenn ein Körperteil eines als "hirntot" diagnostizierten Spenders verfügbar ist, soll der Eurotransplant-Computer ausrechnen, welcher Patient auf der Warteliste der relativ geeigneste Empfänger ist.

Als Berechnungsgrundlage dient ein Punktesystem, das die BÄK-Experten ausgetüftelt haben. Es soll ausdrücken, in welchem Maße die PatientInnen, die auf den Wartelisten stehen, für die Übertragung eines Organes geeignet sind. Prozentual berücksichtigt werden dabei vornehmlich drei Kriterien: wie lange ein Patient bereits auf der Warteliste registriert ist, der Grad der Gewebeübereinstimmung zwischen "Organspender" und potenziellen EmpfängerInnen sowie die so genannte Ischämiezeit.

Eine solche computergestützte Gewichtung sieht zwar sehr genau aus, ist aber sicher nicht rein medizinisch in Prozentsätzen zu begründen. Das gilt auch für die beiden Vergabekriterien "Wartezeit" (die wenig über die "Dringlichkeit" einer Organübertragung aussagt) und "Ischämiezeit". Letztere bezeichnet die Zeit, in der das zur Transplantation vorgesehene Organ explantiert ist, nicht mehr durchblutet und mit Sauerstoff versorgt wird. Je kürzer die Distanz zwischen Entnahme- und Verpflanzungsort, desto mehr Punkte soll es geben. Wer auf ein Organ hofft, aber nicht in der Nähe eines Transplantationzentrums wohnt, wird also umziehen müssen, um seine Chancen zu erhöhen...

Fazit: Der Auftrag des Gesetzgebers, wonach Körperteile ausschließlich nach medizinischen Gründen "gerecht" verteilt werden sollen, wird mit Hilfe der BÄK-Richtlinien nicht erfüllt werden. Die propagierte Gleichbehandlung aller PatientInnen bleibt eine Illusion, die mit den neuen Regeln nur professioneller als bisher kaschiert wird. Viele, die sich dazu entschieden haben, auf ein fremdes Körperteil und damit auch auf den "Hirntod" eines anderen Menschen zu warten, werden vergeblich warten.

© ROBERTO ROTONDO, 2000
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update: 10.01.2004    by: Roberto Rotondo