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Veröffentlichung zur Organspende und Transplantation


Roberto Rotondo. WIE TOT IST HIRNTOTß

DIE UNTOTEN LIFE SCIENCES & PULP FICTION

Kongress und Inszenierung

Internet: http://www.untot.info

12. – 14. Mai 2011,

Kampnagel, Hamburg

WIE TOT IST HIRNTOT?

Vortrag

Roberto Rotondo

13.05.2011. 20.10 - 21.00 Uhr, Friedhof

Vortrag als PDF-Datei

Vortragsvideo vom Mai 2011 mit Aufnahmen von Bewegungen von "Hirntoten".

Interview: "Was ist das für ein Grauen?" und PDF-Datei: "Die Untoten" - Hirntodlüge aus Pflegesicht (SB) (Mai 2011)

Inhaltsverzeichnis

  1. Einleitung
  2. Filmbeispiel
  3. Warum Hirntote tot sein sollen und wer darüber bestimmt?
  4. Wie tot ist ein hirntoter Mensch aus pflegerischer Sicht?
  5. Vereinfachung der Hirntoddiagnostik
  6. Können Transplantationen heilen?
  7. Wird im OP würdig explantiert?
  8. Welche psychischen Belastungen bringt die Arbeit in der Transplantationsmedizin für Pflegende mit sich?
  9. Anmerkungen

Einleitung

Im wissenschaftlichen Gesamtkonzept zu diesem Kongress wurde ein Zusammenhang zwischen „Life Sciences und Hochtechnologiemedizin“ und „Untoten-Phantasien in den Vorstellungsräumen der Kultur“ hergestellt. „Das prägnante Bild“, so die Veranstalter, „für so eine Art von Leben ist der Zombie mit seinen „vitalen Beeinträchtigungen“. Sie stellen die Frage: „Wer oder was aber ist der Zombie des 21. Jahrhunderts?“

Als ich das las, habe ich mir erst einmal die Frage gestellt, welche Untot-Phantasien es eigentlich gibt, die mit Hirntoten zusammenhängen könnten? Ist es nicht eine Provokation Hirntote im Kontext mit Science Fiction und Horror zu stellen wie es die Organisatoren tun?

1968 – ein Jahr nach der weltweit ersten Herztransplantation an einem Menschen und zeitgleich mit der Formulierung des Hirntodkriteriums als Grundlage für die klinische Entscheidung über Leben oder Tod „trat der Zombie in seiner modernen Form in George A. Romeros berühmtem „Night of the Living Dead“ als Filmfigur auf.

So sah das 1968 aus.

Bild aus dem Film „Night of the living dead“ aus dem Jahr 1968
Quelle: Zombie Brew (An Adventure in Beer and Zombie Movies). Link: http://zombiebrew.blogspot.com/2011/04/night-of-living-dead-original-and.html

Im Gegensatz dazu werden „Hirntote“ nicht als Zombies sondern als Verstorbene, Ge­storbene, Leichname und Leichen bezeichnet. Diese „Leichen“ werden aber auch als „Ganzkörper-Lagerstätten“, „Neosterbliche“1, „belebte Materie“, „biologische Masse“ oder „human vegetable“ - „mensch­liches Gemüse“ charakterisiert und sollen eine „Teilsumme von Organen, die [...] einen Restkörper bilden...“, eine „Restmensch“ bzw. „Menschenrest“2, ein „Recyclingobjekt“ oder „Ma­terienzusammenballung“ sein. Manche Pflegkräfte nennen „Hirntote“ sowohl „Nicht-zu-Ende-Ge­storbene“ als auch „tote Patienten.“3 Sie sollen eine „re­siduale Lebensform“ mit „vegetativer Restfunktion“ sein und der „beatmete Leichnam“ einer Schwangeren wurde als „natürliche(r) Brutkasten“ bezeichnet4. Die Organe eines „Hirntoten“ wurden mit einem „Stück Holz“5 verglichen und die Organ­spende wird in der englischen Fachsprache als „Cadaveric organ donation“, also Kadaverspende6 ti­tuliert. Bei der Explantation wird das „menschliche Gemüse“ folgerichtig nicht entnommen, sondern im „englischen Medizinerjargon heißt diese Methode »to harvest«, - »ernten « also.“7

Die Vielfältigkeit der Begriffe schafft eher Verwirrung als Klarheit. Wie soll man sich also einen „Hirntoten“, diese Leiche vorstellen?

Filmbeispiel

Ich möchte ihnen einen kleinen Ausschnitt aus dem Film „Die klinische Feststellung des Hirntodes: eine Video-Produktion. J. Link, R. Rohling, W. Wagner, H. Schulz. Heidelberg, Springer [1991] ISBN: 978-3-540-92608-5“ zeigen.

Bewegungen der Arme und Beine finden sich nach Angaben der Deutschen Stiftung für Organtransplantation (DSO) „bei bis zu 75% aller Hirntoten“.8 „Hirntote“ Patienten liegen im Bett wie andere bewusstlose Patienten auch, das Herz schlägt und sie atmen mit technischer Unterstützung durch Beatmungsgeräte. Sie fühlen sich nicht wie Tote an, der Stoffwechsel funktioniert, „hirntote“ Frauen sind in der Lage zu gebären, „hirntote“ Männer können Erektionen haben. Todeszeichen wie die Totenflecken oder die Leichenstarre fehlen vollständig. Wunden können ausheilen. Eine Leiche wird nicht noch meh­rere Ta­ge gewaschen werden und es ist auch keinerlei Mundpflege mehr nötig. Die Haut­pflege, das Absaugen, sowie Lagerung und Medikamentengaben entfallen bei ei­ner Leiche. Keinerlei Kontrolle ir­gendwelcher lebensverlängernder Apparate wür­de notwendig sein. Eine Leiche kann man allenfalls „aufblasen“, aber nicht beatmen. In der Regel wird ein Leichnam innerhalb weniger Stunden in die Leichenhalle gebracht.

Warum Hirntote tot sein sollen und wer darüber bestimmt?

Die Anwendung moderner Medizintechnik (künstliche Beatmung seit ca. 19529 und die externe Herzmassage) hatte zur Folge, dass Patienten einen Herz- oder Atemstillstand überleben konnten. 1959 beschrieben zwei französische Ärzte (Molaret und Goulon) erstmals den Zustand des irreversiblen Komas, bei dem das Gehirn durch Sauerstoffmangel irreversibel zerstört worden war und bezeichneten diesen Zustand als „Coma dépassé“.10

Als einen der Protagonisten für die Umdefinierung des irrevesiblen Komas in den sogenannten Hirntod und die Durchsetzung, dass der Hirntod als der Tod des Menschen fast weltweit Anerkennung fand, muss der Anästhesist Prof. Henry Beecher genannt werden. Bevor Beecher sich aufmachte den Tod neu zu definieren, war er mit Folterforschung beschäftigt und traf sich u.a. mit Walter Paul Schreiber, der „als Generalarzt an Menschenversuchen im KZ Dachau beteiligt“ war und „1948 beim US-Militärgeheimdienst Counter Intelligence Corps“ anheuerte. Beecher interessierte sich für Schreibers „Wissen über Verhörtechniken“ und hielt „Schreibers Erfahrungen unter anderem mit der Stehfolter, Hundeattacken, Mescalin- und Pentothalinjektionen in seinem Dachau-Report fest.“11. Siehe auch: "die story: Folterexperten – Die geheimen Methoden der CIA", WDR 2008.

Mit dieser menschenverachtenden Grundhaltung der „Offenheit“ gegenüber Naziverbrechern, Folter, Mord und der Nutzung und Verwertung von Menschen für medizinische Experimente trat Beecher 1968, noch bevor Bernards erste Herztransplantation gelang, als Vorsitzender eines Komitees für ethische Fragen bei Experimenten mit Menschen an der Harvard University zusammen mit Dr. Murray, dem 1954 die erste erfolgreiche Nierentransplantation in Boston gelang, an Robert Ebert, den Dekan der Harvard Medical School mit einem Anliegen heran. „Dr. Murray und ich“, schrieb Beecher, „sind beide der Ansicht, daß die Zeit gekommen ist, die Definition des Todes näher zu bedenken. Jedes größere Krankenhaus ist voller Patienten, die geeignete Organspender brauchen.“12

Ebert bildete ca. einen Monat nach der erfolgten Herztransplantation in Südafrika mit Beecher das sogenannte Ad Hoc Committee der Harvard Medical School zur Untersuchung der Definition des Hirntodes. Vorsitzender wurde Henry Beecher. Zehn Mitglieder kamen aus dem Bereich der Ärzteschaft. Diese Gruppe wurde ergänzt durch jeweils einen Juristen, Historiker und Theologen.13

Der Report14 des Komitees der Harvard Medical School stellte im Jahr 1968 einen Meilenstein in der Geschichte der Transplantationsmedizin dar. In ihm wurde das irreversible Koma als neue Definition des Todes befürwortet wird. Die bis dahin auch in der Medizin geltende Vorstellung, dass ein Mensch erst dann als tot galt, wenn sein Herz und die Atmung irreversibel zum Stillstand gekommen sind, wurde damit aufgehoben.

Das Ad Hoc Committee der Harvard Medical School nannte zwei Gründe, die ei­ne neue Definition des Todes notwendig erscheinen ließen.

„Es gibt zwei Gründe, warum es einen Bedarf für eine neue Todesdefinition gibt:

1. Die Last ist groß für die betroffenen Patienten, die den permanenten Verlust ihres Intellekts erleiden, für ihre Familien, für die Krankenhäuser und solche Patienten, die eines der Intensivbetten bedürften, das durch komatösen Patienten belegt ist.

2. Veraltete Kriterien für die Definition des Todes können zu Kontroversen bei der Beschaffung von Spenderorganen führen.“ 15

Diese Begründungen wurden jedoch schon einen Monat später von Hans Jonas kritisiert, da seiner Ansicht nach „mit diesem Primärgrund - der Sinnlosigkeit bloß ve­getativer Fortexistenz - der Bericht strenggenommen nicht den Tod, den ultimativen Zu­stand selbst, definiert (hat), sondern ein Kriterium dafür, ihn ungehindert stattfinden zu lassen, z. B. durch Abstellen des Atemgeräts. Der Bericht aber beansprucht, mit diesem Kri­terium den Tod selbst definiert zu haben, und erklärt ihn kraft dessen Zeugnisses als schon gegeben, nicht erst als ungehindert zuzulassen.“16

Dennoch hat sich die Definition des „Hirntodes“ nahezu weltweit durchgesetzt, obwohl in einigen Ländern (z. B. Japan17 oder China18) religiöse oder soziokulturelle Traditionen bei der Akzeptanz bzw. Nichtakzeptanz des „Hirntodkriteriums“ heu­te noch eine Rolle spielen.19

Auch in Deutschland gab es verschieden Protagonisten, die maßgeblich dafür verantwortlich sind, das Entscheidungsträger (z.B. in der Politik oder der Kirchen) das irreversible Koma nicht mehr dem Leben, sondern dem Tod zuschreiben.

Der Rechtsmediziner und Ethiker Prof. Dr. med. Hans-B. Wuermeling war 1998 Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat der Bundesärztekammer. In einem Gespräch mit Radio Vatikan im Jahr 2008 sagte er: „Beim Menschen ist es so, dass das Gehirn die zentrale biologische Steuerungsfunktion für alle Organe übernimmt. Und wenn dieses zentrale Organ ausgefallen ist, dann kann man nicht mehr von einem lebenden Organismus sprechen, sondern nur noch von einer künstlich lebend konservierten Leiche, wenn man das ganz brutal ausdrücken soll. […] Der Hirntod ist eine rein biologische Angelegenheit und den Hirntod können auch Tiere – höhere Tiere jedenfalls – erleiden. Das ist alles sehr schwer zu verstehen und Fundamentalisten wehren sich wie die Wilden dagegen.“20

Auch der Philosoph Prof. Dr. phil. Dieter Birnbacher war 1998 Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat der Bundesärztekammer. 1994 schrieb er:

„Faktisch ist, sowohl die Bewußtseinsfähigkeit wie die Integration der Körperfunktionen von der Funktion des Gehirns abhängig. Deshalb sind mit dem vollständigen und unumkehrbaren Ausfall sämtlicher Hirnfunktionen auch die Definitionsbedingungen des Todes – irreversibler Verlust des Bewußtseins und irreversibler Verlust der Integration von Körperfunktionen – erfüllt.“21

Diese Einstellung wurde sinngemäß in der Erklärung „Deutscher Wissenschaftlicher Gesellschaften zum Tod durch völligen und endgültigen Hirnausfall“22, im Bundestag23 und in einer Erklärung24 der Deutschen Bischofskonferenz und des Rates der Ev. Kirche in Deutschland vertreten.

Der „Tod der Person“ wird in diesem Fall identifiziert, wenn kognitive Fähigkeiten wie Denken und bewusstes Erleben, irreversibel ausgefallen sein sollen oder man den „Hirntoten“ nicht mehr so erlebt, wie man ihn kannte. Das, was die Persönlichkeit ausmachte, ist von außen betrachtet verloren.

Wie tot ist ein hirntoter Mensch aus pflegerischer Sicht?

Das Menschenbild in der Pflege sieht dagegen anders aus. L. JUCHLI be­schreibt die „Ganzheit“ des Menschen als „Leib-Seele-Geist-Ganzheit und -Einheit.“ Demnach ist er „mehr als die Summe seiner Teile“ und „der ganze Mensch, die Ganzheit­lichkeit.“ Sie fordert, dass „diese im letzten unteilbare Ganzheit ... bei allen Beschreibun­gen des Menschen (...) zu berücksichtigen (ist).“25 Diese Beschreibung der „unteilbaren Ganzheit“ widerspricht der „Hirntoddefinition“. Der Deutsche Berufsverband für Pflegeberufe (DBfK) e.V. versteht den Begriff „Hirntod“ als ein „Kunstwort“ und betrachtet ei­nen „hirntoten“ Menschen als Sterbenden.26

Die Einstellung der Pflege wurde leider in der Beschlußfassung der Deutschen Bundestages zum Transplantationsgesetz vom 25.06.1997 nicht berücksichtigt, obwohl die Stellungnahmen des Deutschen Berufsverbandes für Pflegeberufe (DBfK), der Arbeitsge­meinschaft Deutscher Schwesternverbände e.V. (ADS), des Gen-Archives Essen sowie von BioSkop e.V. Essen bei den öffentlichen Anhörungen vor dem Gesundheitsausschuß und dem Rechtsausschuß des Deut­schen Bundestages gezeigt haben, dass das Pflegepersonal - eine der größten, wenn nicht gar die größte Berufsgruppe, die an Organentnahmen bzw. -implantationen betei­ligt ist - durch die Mitarbeit in der Transplantationsmedizin in schwerste Konflikte geraten kann und immens psychisch belastet wird.

Vereinfachung der Hirntoddiagnostik

Wenn man sich der Frage widmet, wer darüber bestimmt, ob ein komatöser Mensch zu den Lebenden oder zu den Toten gehört, gibt der Umgang mit der Hirntoddiagnostik Einblicke. Die Diagnose „Hirntod“ wird als die wahrscheinlich sicherste Diagnose in der Medizin postu­liert und deshalb wurde sie im Transplantationsgesetz als Entnahmekriterium festgelegt. Mit ihr wird der Hirntod, also der Tod des Menschen, festgestellt.

Im Niedersächsischen Ärzteblatt konnte man 1992 nachlesen, dass die „Einführung der Anschnallpflicht in Personenkraftwagen am 01.08.1984 und der Helmpflicht für Motorrad- und Mopedfahrer ab 01.10.1985“ ... „die Zahl der potentiellen Organspender erheblich verringert“ hat. „Auch (...) die Vereinfa­chung der Hirntoddiagnostik konnte dieses Defizit nicht beseitigen.“27

Als ich diese Information erhielt, habe ich als Krankenpfleger in Hamburg auf einer Intensivstation gearbeitet. Wenn die Aussage im Ärzteblatt der Wahrheit entspricht, bedeutete es nichts anderes, als das sich der Tod des Menschen durch Vereinfachung der Hirntoddiagnostik verändert haben muss. Menschen, die nach strengen Maßstäben als Lebende galten, wurden durch die Vereinfachung der Hirntoddiagnostik zu Toten. Konnte das sein?

1968 hat das Ad Hoc Committee der Harvard Medical School folgende Merkmale als Merkmale des Hirntodes festgelegt:

Ich möchte noch einmal wiederholen. Nach Angaben der Deutschen Stiftung für Organtransplantation (DSO) finden sich Bewegungen der Arme und Beine „bei bis zu 75% aller Hirntoten“.29 Demnach wären diese Menschen 1968 nicht hirntot gewesen – sind es aber heute!

Heute wird der Hirntod und somit der Tod des Menschen sehr unterschiedlich festgestellt. In Polen sind apparative Untersuchungen überhaupt nicht vorgeschrieben. In Italien müssen Mediziner 3x ein EEG Messen, aber in Deutschland ist ein EEG nicht einmal in jedem Fall vorgeschrieben. EEGs müssen beispielsweise nicht angewendet werden, wenn die Hirnschädigung durch Herzinfarkt, Ertrinken, Ersticken oder ein Blutzuckerkoma erfolgte. In Norwegen wird eine zerebrale Angiographie verlangt. In Großbritannien ist eine apparative Untersuchung nicht erforderlich und die Wiederholung der klinischen Untersuchung, die in der Schweiz zwingend vorgeschrieben ist, ist in Großbritannien nur empfohlen.30

Auch die Gehirnareale, die untersucht werden müssen unterscheiden sich in den verschiedenen Ländern.

In Deutschland reicht der irreversible Ausfall von Großhirn, Kleinhirn und des Hirnstamms zur Todesdiagnose aus, aber in Großbritannien reicht beispielsweise der endgültige Ausfall des Hirnstamms um den Tod festzustellen.31

Fachkundi­ge Mediziner, z.B. Prof. Geisler und Dr. Zieger, haben vor dem Gesundheitsaus­schuß des Deutschen Bundestages schon 1995 dargestellt, dass der gesamte Ausfall der Hirnfunktionen nicht feststellbar ist.32 Mehrfach wurde dort außerdem auf die Veröffentlichung des Neurologen Dr. Klein hingewiesen, in der wissenschaftliche Arbeiten zitiert werden, die belegen, dass nach Fest­stellung des sogenannten „Hirntodes“ die betroffenen Patienten (nicht Leichen!) noch EEG-Akti­vität zeigten. Auch Hormonproduktion der Hypophyse konnte nach Feststellung des sogenann­ten „Hirntodes“ nachgewiesen werden.33 Beim Einschnitt in den Körper eines „Hirntoten“ kann es zu Blutdruck- und Herzfrequenzanstieg34 kommen. Dr. Klein zieht in einem Fernseh­bericht daraus die Konsequenz, dass er bei einer Organentnahme - er hat einen Or­ganspendeausweis - darum bitten würde, dass ihm Schmerzmedikamente gegeben werden, weil man nicht ausschließen kön­ne, dass Empfindungen möglich seien.35

Trotzdem setzte die Bundesregierung am 25.06.97 der Debatte um den sogenannten „Hirntod“ in Deutschland einen Schlussstrich und beschloss mit großer Mehrheit (424 von 631 gültigen Stim­men) einen Transplantationsgesetzentwurf, der die Beibehaltung der bisherigen Pra­xis beinhaltet. Der „Hirntod“ wurde als Tod des Menschen akzeptiert und ist als Mindestvoraussetzung für eine Organentnahme festgeschrieben worden. Angehörige können einer Organentnahme zustimmen.36

Doch im Jahr 2010 wurde die Diskussion um den Hirntod erneut geführt. Im Juni 2010 titelte die Ärztezeitung, „Revival der Hirntoddebatte“37. Im September 2010 folgte die Frankfurter Allgemeine Zeitung mit dem Titel: „Hirntod - Ist die Organspende noch zu retten?“38 Was war geschehen?

Dr. Sabine Müller, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie CCM der Charité in Berlin, veröffentlichte neue Erkenntnisse zum Hirntod bzw. der Hirntoddiagnostik. Müller wörtlich:

„Neue empirische Erkenntnisse erfordern eine neue Auseinandersetzung mit diesen Fragen: Erstens haben zahlreiche Studien ein längeres Überleben und die Integration von Körperfunktionen von hirntoten Patienten nachgewiesen. […] Zweitens geben Studien mit funktioneller Magnetresonanztomographie (fMRT) und Positronen-Emissions-Tomographie (PET) an hirntoten Patienten Anlass, an der Zuverlässigkeit der üblichen Hirntoddiagnostik zu zweifeln.“39 Nur ein Beispiel. Bei einer „Begutachtung von allen Hirntoddiagnosen innerhalb von vier Jahren an der Universitätsklinik Newark stellten Zuckier und Kolano fest, dass bei 21 von 188 Fällen (11%) eine permanente Gehirndurchblutung trotz klinisch festgestelltem Hirntod nachgewiesen wurde [33].“40

Aber auch altbekannte Hirntod-Konzept-Befürworter zweifeln am Hirntod-Konzept. Prof. Dr. med. Hans-B. Wuermeling im Juli 2010:

„Diese Begründung der These, der Hirntod sei der Tod des Menschen, war unwissenschaftlich und lediglich zweckgerichtet. Dennoch wurde sie weltweit akzeptiert, um Organtransplantationen möglich zu machen.“ Auch er bezieht sich auf den Aufsatz von Dr. Sabine Müller und stellt fest, dass ihr „Alarm […] kaum wahrgenommen [wurde]“. Sie weist darauf hin, daß Dieter Birnbacher 2007 zu dem Schluss gekommen ist, daß „bei der Explantation von Organen von Hirntoten (...) einem lebenden Organismus Organe entnommen (werden)“, und folgert, die Entnahme geschehe an einem „lebenden menschlichen Individuum."41

Noch 2008 hat Dr. Wuermeling, wie schon erwähnt, solche Erkenntnisse als Meinung von Fundamentalisten abgetan, die den Hirntod nicht verstanden haben.

Nun könnte man meinen, dass der Hirntod widerlegt ist und die Organspende am Ende. Eine Veröffentlichung in der Zeitschrift „Bioethics“ aus dem letzten Jahr lassen mich zweifeln. Unter dem Titel „SHOULD WE ALLOW ORGAN DONATION EUTHANASIA?“ wurden Vorschläge gemacht, wie man dem Organmangel begegnen könnte. Ein Vorschlag wird als „Neuro-euthanasia“ bezeichnet. Bei dieser Methode werden Katheter in der Leiste des Patienten in Blutgefäße eingeführt, bis zu den Blutgefäßen vorgeschoben, die das Gehirn versorgen und diese dann verschlossen, um den Hirntod herbeizuführen. Die Blutzirkulation der anderen Organe wird natürlich aufrechterhalten.42

Ein anderes Beispiel sogenannter Experten?

Peter Sandoe und Klemens Kappel - beide lehren an der Universität Kopenhagen - machten schon 1994 einen anderen Vorschlag:

"Nach unserer Auffassung scheint es ganz natürlich, zu sagen, dass die Organe lebendiger Personen lebenswichtige Gesundheits-Ressourcen sind, die wie alle anderen lebenswichtigen Ressourcen gerecht verteilt werden müssen. Wir könnten uns daher gezwungen sehen, darauf zu bestehen, dass alte Menschen getötet werden, damit ihre Organe an jüngere, kritisch kranke Personen, umverteilt werden können, die ohne diese Organe bald sterben müssten. Schließlich benutzen die alten Menschen lebenswichtige Ressourcen auf Kosten von bedürftigen jüngeren Menschen." 43

Können Transplantationen heilen?

Hartmut Schmidt, Leiter der Poliklinik für Transplantationsmedizin am Universitätsklinikum Münster, verspricht, dass beispielsweise Leberkrebs oder Leberversagen „oftmals durch eine Transplantation geheilt“44 werden kann.

Kann das sein?

Für viele "OrganempfängerInnen" verbessert sich die gesundheitliche Situation nach der Transplantation. Dennoch sind sie nicht "geheilt", sondern müssen mit negativen körperlichen, seelischen und sozialen Folgen rechnen.

Die Transplantatabstoßung bleibt eine ständige Bedrohung für "EmpfängerInnen". Lebenslänglich muss diese Abstoßung medikamentös verhindert werden - zumindest jedoch bis zur nächsten Transplantation. Nach Angaben der Deutschen Stiftung Organtransplantation von 2010 müssen ca. 30 von 100 "NierenempfängerInnen" nach Organtransplantation eines Organs von einem Hirntoten fünf Jahre nach der Transplantation erneut transplantiert werden. Für andere Organe sind die Aussichten noch schlechter.45 Dr. Joachim Beige, Internist und Nephrologe, zum Sterberisiko nach Transplantation: „Bis drei Monate nach Transplantation ist das Sterberisiko der Transplantierten höher als das von Dialysepatienten.“46

Durch die Medikamenteneinnahmen kommt es zur Abwehrschwäche und einer erhöhten Infektionsgefahr. Medikamentös bedingt, leiden die PatientInnen häufig unter Schwächegefühl, Potenzstörungen, Gliederschmerzen, einem veränderten Aussehen (z.B. durch aufgeschwemmtes Gesicht und Nacken, Stammfettsucht, Akne und Gewichtszunahme), Müdigkeit, Zittern, Kopfschmerzen, Empfindungsstörungen oder unter epileptischen Anfällen. Als Nebenwirkung der Medikamente können Krebserkrankungen auftreten.47

Im Mai 2009 veröffentlichte die Ärzte Zeitung, dass nach „Transplantation eines Organs [...] das Hautkrebsrisiko hoch [ist]. […] Alle vier bis sechs Monate sollten Menschen nach einer Organtransplantation zum Check beim Hautarzt. Angezeigt ist das, weil das Hautkrebsrisiko durch die Immunsuppression erhöht ist.“ 48

Beim Herausnehmen der erkrankten Organe durchtrennt der Chirurg alle Gefäße und Nerven. Beim Einsetzen eines fremden Organs müssen diese Verbindungen wiederhergestellt werden. An diesen Stellen kann sich Narbengewebe bilden. Die Funktion der Transplantate kann eingeschränkt sein. Auch Gefäßabrisse und lebensbedrohliche Blutungen kommen vor. Folgeoperationen und -eingriffe werden notwendig, um Narbengewebe und Gefäßabrisse zu behandeln. Nierenfunktionsstörungen, ein arterieller Bluthochdruck, Magen-Darm-Geschwüre, Stoffwechselstörungen und neurologische Störungen können auftreten.

Im Februar 2010 titelte die Ärzte Zeitung „Leben mit Spenderorgan - eine Narbe, die nie verheilt“. In dem Artikel geht wird der Mangel an Psychotherapeuten in Deutschland beklagt, die sich mit den psychischen Folgen von Organtransplantationen auskennen.49

In Zusammenhang mit der Transplantation und der Identität können Fragen und Ängste auftauchen:

E. Wellendorf berichtet darüber, dass die Organe erst psychisch integriert werden müssen. Sie be­schreibt, dass die Körperidentität der Transplantierten auch durch die kranken Organe ge­prägt ist, so dass die neuen Organe gespürt werden.55 Das neue Organ kann aus diesem Grund sehr oft nicht integriert werden. Transplantierte berichten, dass sie sich mit dem mit dem Spender identifizieren, obwohl sie ihn nicht kennen.56 Umfragen im Herzzentrum Berlin ergaben, dass sich die Transplantierten ihren Spen­der vorstellen, phantasieren. Dabei gab es so gut wie keine Frau-zu-Frau Zuordnung. Dies be­deutet, dass sich Frauen vorstellen, dass Organ eines Mannes bekommen zu ha­ben. Dies bringt besonders für Frauen das Problem mit der Geschlechtsidentität mit sich. Außerdem besteht die Gefahr, dass „ein negatives Selbstbild entsteht, gekoppelt mit Schuldgefüh­len [...]. Oft fühlen sich diese Menschen als Versager“.57

Wird im OP würdig explantiert?

Wenn man dem Transplantationskodex der Arbeitsgemeinschaft Organtransplantation u nd dem Transplantationsgesetz Glauben schenkt, wird die Würde des Verstorbenen während der Organentnahme gewähr­leistet und der Leichnam achtungsvoll behandelt. Das Äußere des Leichnams wird nach er­folgter Organentnahme wieder hergestellt.58 Besonders nach einer Multiorganentnahme, wird meiner Ansicht nach die Würde des Leich­nams nicht gewahrt. Immerhin kön­nen bei einer Multiorganentnahme Hornhäute, In­nenohren, Kiefer­knochen, Herz, Lungen, Leber, Nieren, Bauchspei­cheldrüse, Magen, Knochen, Bänder und Knorpel, Haut, Adern und Knochenmark entnommen werden.59 Im März 2011 meldete die Ärzte Zeitung: Komplette Gesichtsoperation in den USA.60

Um zu verdeutlichen, welchen Eingriff eine Organentnahme darstellen kann, möchte ich anhand von Aussagen einiger Pflegekräfte den Ablauf einer Organentnahme und die von ihnen dabei empfundenen Gefühle darstellen. Die Pflegekräfte standen mir für Interviews zur Verfügung, welche ich im Rahmen meiner Diplomarbeit61 führte. Sie waren nicht gegen, sondern im Ge­genteil für Organentnahmen und können alle langjährige Erfahrungen in diesem Arbeitsbereich vorweisen.

Ablauf einer Organentnahme und Versorgung der Leiche:

Pflegekraft B:

„Jetzt stellen diese Organentnahmen in dem Sinne et­was besonderes dar, weil ja erstmal unheimlich viel Wasser verwand wird, zum Spülen des Bauchraums. Das sind schon so 10 - 15 Liter. Und ..., dass eine vergleichsweise stärkere Hektik auch herrscht, weil das soll dann auch schnell gehen. [...] Dann kann man die beiden Seiten hochhalten, das Wasser reinschütten und ab­saugen. Vergleichsweise großes Gefäß, sag ich mal.“

Eine andere Schnittführung hat allerdings auch andere Folgen. Dazu Pflegekraft B:

„Denn läuft das an den Seiten raus, richtig im Schwall. [...] Und denn läuft es eben bis in die Einleitung und es sind gro­ße Flächen auf dem Boden, wo wirklich, ja, literweise rotes Wasser auf dem Fußboden ist, mit nassen Tüchern und so und alle patschen da drin rum und Schlachtfeld...anblick. Und [...] dem Reinigungsper­sonal möchte man das ja auch nicht so hinterlassen, son­dern packt die Tücher schon mal in Säcke und aus den Säc­ken läuft das dann raus und so, das ist schon äh ..., ja, we­nig ästhetisch.“

Auch eine andere Schilderung macht deutlich, was während der Organentnahme geschieht:

Pflegekraft B:

„Das war, glaub' ich in dem, ähm, Vortrag im [Krankenhaus X] war das das erste Mal, wo ich das ge­hört hatte, dass je­mand gesagt hatte, dass es eben diesen Pro­zeß des Sterbens gibt und ..., ja, Hirntod, damit beginnt es praktisch und wir beenden das andere dann kontrolliert.“

„Letzt­endlich ist es ja ... nur, äh ..., ein kontrol­liertes Zu-Ende-Sterben.“

So richtig deutlich wird erst während der Organentnahme, dass hier ein Sterbender sein Leben beendet. Hierzu zwei Pflegekräfte:

Pflegekraft A:

„Also, dass das da jetzt, dass du jetzt hier plötz­lich aus, aus 'nem Spendepatien­ten 'ne Leiche also ... jetzt irgendwie wirklich 'nen Toter wird, ehm. Das wird eigentlich dann erst offen­sichtlich, wenn, wenn's ruhiger wird irgend­wie, wenn die Hektik jetzt vorbei ist und die Organe weg sind, die Anästhesie tritt ab. ... Und so ganz offen­sichtlich ist es dann erst dann, wenn man die Abdec­kung dann wegnimmt und dann wirklich nunmehr 'ne Leiche auf 'n Tisch ...“

Pflegekraft C:

„(A)lles liegt so da wie wenn, ja, Sie ken­nen ja die­ses Märchen von Dornröschen, die sich sticht, und alles bleibt ste­hen, und so sieht das dahinter aus. Weil der Apparat an sich, der ist nur abge­stellt, aber Tubus ist noch drin, es ist alles noch so, wie es ... für eine normale Narko­se, wie es sich für 'ne normale Narkose gehört, und dann ist das Tuch da, das ist so wie eine, eine Raumtrennung.“

„Nä, so wie, ja sie, sie, sie, das ist ein Theaterstück mit fatalem Ausgang, dies, was Sie aber nicht erwartet haben. Das ist wirklich - zack!“

„Immer Schweigen ... Also vorher konnte noch so eine tolle Stimmung gewe­sen sein, äh, Stimmung jetzt eben, dass man sich auch, es wird wei­ter geflirtet, es wird weiter, es ist so richtig, wie es halt im Leben, im Be­ruf ist, an einem Arbeitsplatz und ist - Schweigen.“

„Das ist einfach so, dass, äh, ... schon so die, dies, dieser Anblick ... glaub' ich schon von sich aus einfach, das auch einfordert, ohne dass man es selber merkt, ist die­se, diese, die Körperhaltung, die Physiognomie eines Toten einfach so, dass, ich glaub' der letzte Haude­gen verstummt.“

Welche psychischen Belastungen bringt die Arbeit in der Transplantationsmedizin für Pflegende mit sich?

Wenn der „hirntote“ Patient nicht zur Organspende freigegeben wird, dann ge­schieht das, was Hans Jonas in seinem Buch „Technik, Medizin und Ethik“ wie folgt beschreibt:

„... wir überlassen es der Natur, [die Grenzlinie zwischen Leben und Tod] ... zu überschrei­ten, wo immer sie sei, oder das Ganze Spektrum zu durchqueren, wenn es mehr als eine Linie gibt.“62

In dieser Zeit ist eine Sterbebegleitung durch die Angehörigen und durch das Pflegepersonal möglich. Der sterbende Patient ist nicht allein und auch ein würdiges Sterben ist gewähr­leistet. Was Sterbebegleitung bei einem Patienten bedeuten kann, bei dem die Beatmung abgestellt wird, macht folgendes Beispiel aus einem Lehrbuch für die Pflegeausbildung deutlich:

„Jedes Wort, jeder Blick, jede Berührung wird für den Sterbenden wichtig. Selber hoff­nungsvoll sein ist Grundvoraussetzung für die Pflege. [...] Dasein und Dableiben und da­mit auch Körperkontakt, Berühren, Streicheln ist das wichtigste überhaupt. [...] Sterben ist ein Geheimnis „undurchschaubarer Offenheit“, d.h., der Sterbende schreitet vom Ahnen zum Wissen, ohne dass die Tiefen enthüllt werden können. Es genügt, dass da Menschen sind, die das Geheimnis schützen und bewahren.“63

Spezielle Probleme des Pflegepersonals im OP

Schützen und bewahren, das klingt gut. Aber, geht das auch im OP?

Für manche Pflegekräfte vollzieht sich während der Organentnahme etwas Einmaliges, nicht Vergleichbares mit anderen Operationen. Für sie ist dies nicht mehr mit den Begriffen Würde, Achtung und Respekt in Einklang zu bringen. Hierzu möchte ich Pflegekräfte zitieren, die schon in verschiedenen Veröffentlichungen über ihre Gefühle im Zusammenhang mit den Organent­nahmen berichteten.

Christine Lang:

„Es ist nicht das Ich des Verletzen, nicht die Sprache der Kehle, des Mundes der Zunge, die das Ausmaß des Zugefügten bekundet. Es ist das Bild, die Aussagekraft des Körpers an sich, die das Erleiden doku­mentiert und in mir das Phänomen infernalischen Schmerzes und marker­schütternder Schmerzens­schreie hervorruft.“64

Monika Grosser:

"Nun liegt er da, mit einer riesigen Wundhöhle, und bietet uns seine Bauchorgane dar. Nie würden sie einen Lebenden so verletzen! Das ist es: diese riesige Wunde, diese unermeßlich große Verletzung, die dies so schrecklich sein läßt."65

Robert Dorner:

"Wenn sie als Krankenschwester/Krankenpfleger bei der Prozedur der Organentnah­me mitma­chen, einen Intensivpatienten entgegennehmen, die Klemme für das Durchlaufen der Perfusi­onslösung öffnen, die Sprüche der Ärzte kennen, am Schluß alleine mit einer entstellten eiskal­ten Lei­che im Saal sind und dann Eltern miterleben dürfen, die ihren zehnjährigen Sohn gerne noch einmal se­hen würden, da es vor der Entnahme anscheinend nicht mehr möglich war, wollen Sie vielleicht nur mehr eines - in die Arme genommen werden.“66

Es gibt Pflegekräfte, die während der Organentnahme Tränen unterdrücken müssen,67 und ein schlechtes Gewissen haben.68 Man­che stel­len sich die Frage, ob „es ethisch richtig ist, derart manipulierend in den Sterbeprozeß einzu­greifen“69 und fragen sich, „wo ... das Recht dieser Toten auf ein würdevolles Sterben (bleibt)“.70

Sibylle Storkebaum, Dipl. Psychologin, die mit Transplantierten arbeitet und sich eine Organent­nahme anschaute, beschrieb ihre Gefühle sehr anschaulich:

„Das Chirurgenteam nimmt die Leber heraus. Ich will gehen. Ich kann nicht mehr, will nicht mehr erleben, wie alle Körperhöhlen so leer aussehen werden wie der Brustkorb, will nicht mehr Zeuge des Zunähens, Waschens, Herrichtens für die Beerdigung sein. Ich sehne mich nach warmen Armen, die mich liebevoll bergen, nach einer Seele, die meinen Kummer mittra­gen wird [...].71

Sie hat es sich meines Wissens nur einmal angeschaut. Für die Pflegekräfte in Krankenhäuser gehören Organentnahmen jedoch zum Alltag. Die Auswirkungen können lange nachwirken. Auch nach der beendeten Organentnahme ist es für manche Pflegekräfte unmöglich, das Er­lebte zu vergessen:

Grosser, M.:

"Wer glaubt, nun sei es vorbei, der irrt. Ich werde nach Hause gehen, mich schlafen le­gen, und dann werde ich im Traum noch einmal das Ganze erleben. Ich werde diesen Toten sehen, der erst sein eigenes, dann das Gesicht eines mir nahestehenden Menschen und schließlich mein Gesicht tragen wird. Alles verdrängte, Verschluckte, ein Hexenkessel voller Gefühle wird auf­brechen. Sie wer­den ihr grausames Spiel mit mir treiben - ungehindert, ungebremst, sich austo­ben bis zum Exzess. Erst danach wird diese Entnahme für mich vorbei sein."72

Eineinhalb Jahre nach dem Ausscheiden aus dem OP wurde mir im Rahmen meiner Inter­views ein Alptraum geschildert. Die Pflegekraft wachte nachts „schweißgebadet“ auf:

„Ich hab davon geträumt, dass die Patienten noch gar nicht Tod sind. [...] Zum Beispiel der eine Traum war, dass der Patient dann wieder, sich hingesetzt hat auf ... auf den OP-Tisch und uns allen die Zunge rausgestreckt hat. So´n Traum hatte ich. Also, das war ... irre. Nee, also da hab ich gedacht, nee ... das ist doch nicht so, ob das so richtig ist das Gan­ze. Weil vorher denkt man nicht so darüber nach, würde ich sagen. Aber, wenn man ... denn nachher schon Alpträume hat.“

Sogar Auszubildende werden in Hamburg mit im OP eingesetzt. Das kann jedoch schlimme Folgen haben.

„Aber für uns Schüler haben die Ärzte nochmal Schmerzreize gesetzt - und dieser Mensch hat sich bewegt und er hat gezuckt unter jedem Schmerzreiz - gut, das läuft angeblich nur über die Wirbelsäule - kann ich auch nachvollziehen mit meinem medizinischen Fachwissen. […]

Dann hat man uns erklärt, dass man Hirntote vor Organentnahme NICHT in Narkose setzt und KEINE Schmerzmittel gibt, weil sie ja tot sind. Wäre Verschwendung, sie würden es eh nicht fühlen. Und als ich im OP neben dem Tisch stand, HAT der Anästhesist Schmerzmittel gegeben. Er hat es, ich hab´s genau gesehen ... warum? Und ich hab ihn dann auch leise gefragt warum und er meinte, um sein eigenes Gewissen zu erleichtern. Keiner weiß wirklich, ob sie keine Schmerzen haben, nur weil sie hirntot sind. Und er wüsste auch nicht, wieso er das macht und eigentlich wäre es viel zu teuer für nen TOTEN ... aber wenn nur die leiseste Ahnung besteht, dass der Mensch trotzdem Schmerzen hat, dann will er ihm das nicht antun ... aha ... ab dem Zeitpunkt war mir schlecht. [...]

Ich hab eigentlich sehr detaillierten Redebedarf, aber ich finde, ich kann diese Bilder keinem anderen antun. [...]

Es ist echt unbegreiflich ... ich hab diese Bilder im Kopf ... ist saß vorhin mit Freunden inner Kneipe auf St. Pauli ... und alle am lachen und feiern, und ich hatte diese Bilder im Kopf. Und sehe die Leute um mich herum feiern und lachen und ich sehe nur diese Organentnahme vor meinem inneren Auge. Ich hab echt Angst, dass ich heute Nacht davon träume.

Das ist wirklich das erste Mal in meinem Beruf, wo ich wirklich böse an meine Grenzen geraten bin. Als ich im OP stand und mir alles erklärt wurde, hab ich alles versucht zu verstehen und nur die medizinische Seite betrachtet. Aber zuhause ... nee, das geht gar nicht.

Ich bin total fertig.“73

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

Anmerkungen


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update: 03.01.2012    by: Webmaster